Kurt Landauer hat Fußballgeschichte geschrieben. Unter seiner Präsidentschaft gewinnt der FC Bayern 1932 seine erste Deutsche Meisterschaft. 1933 wird er als Jude gezwungen zurückzutreten, 1938 nach Dachau deportiert; später kann er in die Schweiz fliehen. Vier seiner sechs Geschwister werden in der Schoa ermordet. Doch nach dem Krieg kehrt er nach München zurück, auch zum FC Bayern.
Von Kurt Landauers Privatleben war nur wenig bekannt. Ein wiederentdeckter Briefwechsel Kurt Landauers mit seiner späteren Frau Maria Baumann zeigt nun den Menschen hinter der Legende.
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Kurt Landauer zu Besuch bei Schwester Gabriele, Grainau, 1929
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Brief Kurt Landauer an Maria Baumann, 30. Januar 1945
Geliebte Maria!
Um den Jahreswechsel 1944/45 schreibt Kurt Landauer im Genfer Exil einen 77-seitigen Brief an seine Geliebte in München.
Seit 1927 ist er mit Maria Baumann, der Haushälterin seiner Familie, liiert. Ein Verhältnis, das lange geheim bleibt. Trotz der drohenden Denunziation nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen hält sie als Nicht-Jüdin an der Liebesbeziehung fest. Auch während Landauers Emigration reißt der Kontakt nicht ab.
In dem Brief, der als erster aus ihrer Korrespondenz erhalten ist, schreibt Landauer über sein früheres Leben in München, sein Exil und seine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.
Um mich klar verständlich zu machen, muss ich weit zurückgreifen.
Kurt Landauer an Maria Baumann, 30. Januar 1945
Kaufhaus Otto Landauer in der Kaufingerstraße, 1894
Kurt Landauer kommt am 28. Juli 1884 in Planegg bei München zur Welt. Er stammt aus einer angesehenen Münchner Kaufmannsfamilie. Sein Vater, Otto Landauer, betreibt ein Kaufhaus für Damenmode in der Kaufingerstraße. 1849 war Kurt Landauers Großvater aus dem schwäbischen Hürben nach München gezogen, sein Vater schließlich erhielt 1884 das Bürgerrecht.
Kurt Landauer hat vier Brüder und zwei Schwestern. Wie seine älteren Brüder, Leo und Franz, absolviert er zunächst eine kaufmännische Ausbildung und steigt später in das Familiengeschäft mit ein.
Nach seiner Ausbildung als Handelslehrling in Sankt Gallen eröffnete Otto Landauer 1878 einen Knopf-, Band- und Posamentierwarenhandel in München, den er später zu einem Damenmodegeschäft umbaute. 1889 bezog Otto Landauer Damenmoden ein neu errichtetes Geschäftshaus in der Kaufingerstraße 28. 1909 wurde Otto Landauer bayerischer Kommerzienrat und 1912 Königlich Bayerischer Hoflieferant. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte das Unternehmen rund 250 Angestellte.
Nach dem Tod Otto Landauers 1913 übernahmen seine Söhne Leo, Franz und Kurt das Geschäft.
Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage infolge der Weltwirtschaftskrise rapide. Nach zwei erfolglosen Geschäftsfusionen meldete die Firma im August 1931 Insolvenz an.
Kurt Landauer (vorne links, Nr. 8) als Spieler beim FC Bayern, 1903
Mehr als für das elterliche Geschäft interessiert sich Kurt Landauer für den neu importierten englischen Sport: Fußball. Bereits ab 1901 spielt er als Torwart in der 2. Mannschaft beim FC Bayern München. Der Club war ein Jahr zuvor gegründet worden.
In seiner Anfangszeit galt Fußball als kosmopolitisch und modern. Der Teamsport bot eine Alternative zum Turnen und zog hauptsächlich Studenten und Angestellte, also Angehörige des Bürgertums, an.
1913 wird Kurt Landauer zum ersten Mal Präsident des FC Bayern München.
1914 meldet sich Landauer wie seine Brüder freiwillig zum Kriegsdienst. Er nimmt an Gefechten in Nordfrankreich und Belgien teil. Im August 1917 kommt er mit einer Blinddarmentzündung in ein Kriegslazarett in Gent und wird später nach München verlegt. Von Februar bis Oktober 1918 ist er dem Ersatzpferdedepot in München zugeteilt.
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Kurt Landauer zu Pferd, 1917
Nach Ende des 1. Weltkriegs wird Landauer erneut Präsident des FC Bayern München. Seinen Lebensunterhalt verdient er weiter im elterlichen Geschäft. Von 1921 bis 1928 befindet sich die Geschäftsstelle des FC Bayern mit im Geschäftshaus Otto Landauer.
Er holt erfahrene Trainer aus dem angelsächsischen und österreichisch-ungarischen Raum zum FC Bayern und organisiert Freundschaftsspiele mit Vereinen wie dem MTK Budapest und Tottenham Hotspur, Servette FC Genève und FC Basel. Landauers Konzept einer technisch anspruchsvollen und eleganten Spielkultur auf einer soliden finanziellen Basis hat Erfolg.
Aus den etwa 400 Bayern-Mitgliedern werden bis Ende der 1920er Jahre 1.600. Unter ihnen sind neben der katholischen Mehrheit auch Protestanten und Juden. Es geht nicht um Religion oder kulturelle Herkunft, es zählt allein der Fußball.
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Rede zum 30. Jubiläum des FC Bayern, 1930
1932 | 12. Juni: Der FC Bayern München gewinnt im Finale in Nürnberg 2:0 gegen Eintracht Frankfurt und wird erstmals Deutscher Meister. |
| Amateurfilm des Spiels um den deutschen Meistertitel 1932 (2:22 min.), Quelle: Leo Baeck Institute/Erna Weill Collection |
Du weißt, unser Haushalt ist ein bisserl angestaubt gewesen [...] So kam’s, dass Du, Maria, mit Deiner lichten Weise das Vermoderte bei uns aufgehellt hast. Die Atmosphäre ist doch eine andere geworden.
Maria Baumann, 1926
Nach dem Tod des Vaters lebt Kurt Landauer in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter Hulda und seinem Bruder Paul in der Franz-Joseph-Straße 21. Ab 1927 arbeitet Maria Baumann als Hilfsköchin für die Familie.
Maria Baumann kommt aus einer katholischen Familie aus Memmingen. Sie wird als drittes von acht Kindern geboren; ihr Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter Köchin. Schon mit 14 Jahren hat Baumann als Hausmädchen, zuerst in Frankfurt und dann in Berlin, gearbeitet.
Kurt Landauer und die 15 Jahre jüngere Maria Baumann verlieben sich. Doch Landauer hält die ‚nicht standesgemäße‘ Beziehung lange vor seiner Familie geheim.
Ich wollte auch, dass dieses immerwährende Versteckspielen ein Ende nehmen soll, dass ich mich frei und offen mit Dir zeigen kann, dass wir zusammen ins Theater gehen können, zusammen die Opern hören, gemeinsam ins Kino gehen, dass Du mich begleiten sollst zu den Fußballspielen...
Im Herbst 1931 entschließt sich Landauer aus dem Familiengeschäft auszusteigen und Maria Baumann einen Heiratsantrag zu machen.
Er bespricht sich mit seinem Bruder Franz. Doch nachdem sich die finanzielle Lage der Firma stark verschlechtert hat, kann der ihm keine größere Auszahlung mehr in Aussicht stellen. Landauer verwirft die Idee einer Hochzeit.
Bis zu seiner Emigration leben Landauer und Maria Baumann mit seinem Bruder Paul in einer Wohnung in der Clemensstraße 41.
Da trat DAS Ereignis ein, das alles für uns von Grund auf umwandeln sollte.
1933 | 30. Januar: Adolf Hitler wird zum Reichskanzler gewählt. |
Im Interesse des Clubs, dessen Wohlergehen ihm nach wie vor am Herzen liege, glaube er, diesen Schritt unbedingt tun zu müssen.
Clubzeitung des FC Bayern München e.V., März / April 1933
Am 22. März 1933 gibt Landauer sein Amt als FC Bayern-Präsident ab. Damit kommt er einer erzwungenen Absetzung zuvor.
Am 1. April 1933 ruft die nationalsozialistische Regierung zu einem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte und Einrichtungen auf, bei dem es auch in München zu Ausschreitungen gegen jüdische Gewerbetreibende kommt. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ beginnt wenige Tage später die systematische Verdrängung aller als Juden und Jüdinnen Verfolgter aus dem öffentlichen Leben.
Die süddeutschen Fußballclubs, unter ihnen auch der FC Bayern München, bekennen sich umgehend zu der neuen Regierung und verkünden in einer am 9. April unterzeichneten Erklärung, dass sie bereit seien, alle „jüdischen Mitglieder“ aus ihren Vereinen auszuschließen. Viele jüdische Mitglieder traten aus dem Verein aus.
1935 | 15. September: Die sogenannten Nürnberger Gesetze treten in Kraft. |
Dann nahmen wir [...] Abschied voneinander, es war ein hartes Auseinandergehen. Nun aber, da Du erst einmal aus dem Haus warst, da sah ich erst, welche Leere Du darin zurückgelassen hast.
Die sogenannten Nürnberger Gesetze verbieten ab September 1935 den engen Kontakt zwischen „Juden“ und „Ariern“. Auch die Anstellung „deutscher“ Frauen in „jüdischen“ Haushalten wird verboten. Landauer entscheidet sich, das Arbeits- und wohl auch das Liebesverhältnis mit Maria Baumann zu beenden.
Nachdem sich herausstellt, dass Baumann mit ihren 36 Jahren bereits von dem Gesetz ausgeschlossen ist, kehrt sie am 31. Dezember zurück in Kurt und Paul Landauers Haushalt. Es blieb die Angst vor einer Anzeige wegen „Rassenschande“.
Maria und Theodor Klopfer, 1914
Neben Maria Baumann gibt es eine zweite wichtige Frau in Kurt Landauers Leben: seine Jugendliebe Maria Klauber, später Klopfer.
Sie ist die Tochter des jüdischen Textilunternehmers Moritz Klauber. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich Landauer Hoffnung auf eine Heirat mit ihr gemacht, doch keine Zustimmung von seinem Vater bekommen. 1913 heiratete Maria Klauber den Bankier und Hotelbesitzer Theodor Klopfer.
Über die Jahre entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Kurt Landauer und Maria Klopfer, die er in seinen Briefen „Frau Maria“ nennt.
Frau Maria und ich hatten zu dieser Zeit den Grundstock unserer Freundschaft gelegt. Einer Freundschaft zwischen Frau und Mann, von der man sagt, dass sie unmöglich sei.
Werbeanzeige der Fa. Rosa Klauber, 1937
Aufgrund seiner jüdischen Herkunft verliert Landauer am 1. April 1933 seinen Posten als Anzeigenleiter für die „Münchner Neuesten Nachrichten“. Seit 1929 hatte er in der Anzeigenabteilung des Knorr & Hirth Verlags seinen Lebensunterhalt verdient. Nach der Kündigung versucht er sich als Versicherungsvertreter.
1935 vermittelt Maria Klopfer ihm eine Anstellung als kaufmännischer Angestellter in der Wäschefabrik ihrer Brüder.
Das Spitzen- und Wäschegeschäft Rosa Klauber mit zwei Filialen und eigener Herstellung bestand von 1859 bis 1938. 1859 gründete Rosa Klauber aus Böhmen das Spitzenhaus im Tal 76. Später zog das Geschäft unter der Leitung ihres Sohnes Moritz Klauber erst in die Theatinerstraße 16 und schließlich in die Theatinerstraße 35. In der dritten Generation leiteten Maria Klopfers Brüder Ernst, Ludwig und Siegfried Klauber das Geschäft.
1926 eröffneten sie eine zweite Filiale am Marienplatz 2. Ein Herstellungsbetrieb für Damenwäsche befand sich ab 1927 in der Dachauer Straße 112. Das Spitzenhaus war Hoflieferant und verkaufte seine Waren deutschlandweit sowie ins Ausland. 1938 hatte das Unternehmen ca. 200 Beschäftigte.
Im Herbst 1938 wurde das Unternehmen „arisiert“; Ernst, Ludwig und Siegfried Klauber emigrierten in die USA. Ab 1943 führten sie das Unternehmen unter dem Namen Klauber Brothers in New York weiter.
Begleitbroschüre zur Ausstellung „Spitzenhaus Rosa Klauber“ im Jüdischen Museum München
1938 | Vom 9. auf den 10. November organisiert die NSDAP reichsweite, gewalttätige Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden. Synagogen und jüdische Geschäfte werden zerstört. |
Wie gewohnt war ich um 7 Uhr in die Fabrik gefahren, hatte nichts Außergewöhnliches gesehen oder bemerkt. Als dann das Personal kam, da wurde allenthalben erzählt, dass jüdische Geschäfte in der Nacht zerstört worden sind, dass Wohnungen in Brand geraten waren, und dergleichen ungeheuerliche Dinge mehr.
Am Morgen nach dem Pogrom erfährt Landauer, dass sein Bruder Paul in das Konzentrationslager Dachau verschleppt worden war. Gegen 14 Uhr wird auch er verhaftet, Bruder Franz erst am 12. November.
Insgesamt werden 1.000 jüdische Münchner nach Dachau verschleppt. Über mehrere Wochen bis Monate sind die Inhaftierten Hunger, Kälte und oft schweren Misshandlungen ausgesetzt.
Ich will mit Absicht all das übergehen, was sich während meines 33-tägigen Aufenthaltes in Dachau ereignete.
Landauer spart die Zeit im KZ Dachau in seinem Lebensbericht aus. Über seinen Bruder Paul schreibt er, dass er das Lager als „alter, gebrochener Mensch“ verließ. Kurt und Paul Landauer werden gemeinsam am 13. Dezember aus dem Lager entlassen, Franz am 19. Dezember.
Nur zwei Tage nach Landauers Deportation nach Dachau stellt Maria Baumann für ihn einen Visumsantrag im amerikanischen Konsulat in Stuttgart. Die hohe Nummer 35.879 bedeutet jedoch eine mehrjährige Wartezeit auf die Einreise.
Nach seiner Entlassung beginnt die intensive Suche nach einer Ausreisemöglichkeit. Schließlich gelingt es mit Unterstützung von Maria Klopfer, deren Ehemann und ihren Brüdern in New York eine Einreisebewilligung für die Schweiz zu bekommen.
Am 17. Mai 1939 kann Kurt Landauer aus Deutschland fliehen.
Dann setzte ich meinen Weg fort, den Schirm am Arm, ein kleines Köfferl in der Hand, als ob ich zum Wochenende nach Pasing fahren würde und nicht für immer und ewig die Stadt verlassen würde, in der man sein ganzes Leben zugebracht hat. Nicht als ob ich eben von einem Menschen mich getrennt hätte, der mir durch lange Jahre das Höchste und Liebste auf der Welt gewesen war...
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Passfoto Kurt Landauer, 1938
In Genf angekommen bezieht Landauer ein Pensionszimmer in der Rue Sigismond-Thalberg. 1941 wechselt er in eine günstigere Pension in der Rue Ami-Lévrier. 1933 hatte die Schweiz ein Erwerbsverbot für Geflüchtete erlassen, sodass Landauer während seines Exils auf die finanzielle Unterstützung der Familie Klauber-Klopfer angewiesen ist.
Landauers Alltag in Genf ist eintönig. Die finanzielle Abhängigkeit und das bange Warten auf Nachrichten aus der Heimat setzen ihm stark zu.
Visitenkarte Kurt Landauer, Genf
Zunächst erhält Landauer nur eine dreimonatige Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz, die er regelmäßig verlängern muss. Er muss nachweisen, dass sein Lebensunterhalt durch private Unterstützung gesichert ist und er sich weiter um eine Ausreise bemüht.
FRAGEBOGEN FÜR EMIGRANTEN
nein
beim Permis de séjour in Genf am 19.Mai 1939 (am 18. Mai ist Feiertags wegen geschlossen gewesen)
Lerne, bezw. vervollständige mich in der englischen Sprache
Für volle Pension täglich sfrs. 6.–. (Sechs), für Wäsche monatlich ca. sfrs. 15.–. (Fünfzehn), für Steuer jährlich sfrs. 300.–. (für 1940 voll bezahlt), Nebenausgaben monatlich höchstens sfrs. 10.-. (zehn), wobei ich bemerke, dass ich Nichtraucher bin.
Weil mir die Auswanderung aus Deutschland nach einer Inhaftierung im Konzentrationslager zu Dachau im November/Dezember 1938 zur Auflage gemacht worden ist.
Weil mir als Jude die Rückkehr nach Deutschland nicht gestattet ist, resp. ich als Auswanderer nicht mehr das Recht zur Rückkehr habe.
Quelle: Auszüge aus dem Fragebogen der Eidgenössischen Fremdenpolizei, Genf, 20. Juli 1940; Staatsarchiv des Kantons Genf/Archives d’Etat de Genève
Maria Klopfer und ihre Eltern in Genf, 1940
Maria Klopfer war kurz vor Landauer gemeinsam mit ihren Eltern nach Genf gekommen. Ihr Mann und ihre Brüder waren bereits in die USA ausgereist, wo auch ihre älteste Tochter mit ihrem Mann lebte. Ihre beiden jüngeren Kinder waren nach Palästina emigriert. Maria Klopfer bleibt zunächst in Genf und kümmert sich um ihre Eltern. Nach Kriegsbeginn wird die Ausreise für die Drei unmöglich.
Klopfer hält wahrend der Kriegsjahre den Briefkontakt zwischen Familienmitgliedern in verschiedenen Ländern aufrecht. Fast täglich erreichen sie Briefe aus dem besetzten Prag, aus England, den USA oder Shanghai. Auch Verwandte und Bekannte, die von den Nationalsozialisten im Getto oder Konzentrationslager festgehalten werden, suchen ihre Hilfe.
Es muss unbedingt gesagt sein, dass die 3 Kl. herzensgute Menschen sind, die enorm wohltätig sind und die speziell zu mir sich zeigen, wie es nicht überboten werden kann. Alle drei, insonderheit natürlich Frau Maria!
Maria Klopfer und ihre Eltern sind Landauers einzige Kontakte in Genf. Er versucht an frühere Bekanntschaften aus dem Fußball anzuknüpfen, bleibt an seinem Exilort aber ein Entwurzelter.
Über die Lage im nationalsozialistischen Deutschland und den besetzten Gebiete ist er gut informiert. Er hört ausländische Sender, liest über Konzentrationslager, Deportationen und von Gaskammern. Auch die Luftangriffe der Alliierten auf seine Heimatstadt München verfolgt er aus dem Exil.
Du glaubst nicht, wie jedes liebe, jedes gute Wort von Dir auf fruchtbaren Boden gefallen ist, wie jedes herzliche Empfinden Deinerseits mir wohlgetan hat. Andererseits aber weißt Du nicht, wie ich in all den schrecklichen Tagen und Nächten der Fliegerangriffe mit Dir gefühlt habe, wie sehr ich [mich] um Dich gesorgt habe, wie unendlich oft ich mich um Dich bangte!
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Visitenkarte Kurt Landauer, Genf (Rückseite)
Kurt Landauer hatte sechs Geschwister. Sein jüngerer Bruder Alfons war bereits 1929 in Berlin verstorben. Seine beiden älteren, unverheirateten Brüder Leo und Paul lebten vor ihrer Deportation zeitweise bei Maria Baumann in München. Franz Landauer war 1939 mit seiner Frau Tilly nach Amsterdam emigriert. Schwester Gabriele (Lelle), seit 1931 verwitwet, lebte in München, ihr Sohn Hans in einer Pflegeeinrichtung in Bendorf am Rhein. Die jüngste Schwester Henny war 1934 mit ihrem Mann Julius und ihren zwei Kindern nach Haifa emigriert.
In Genf erfuhr Landauer nach und nach vom Schicksal seiner Geschwister.
Ich glaube, dass Du so ungefähr zur selben Zeit von ihrem Tode hörtest wie ich, Du sowohl als ich aber haben hierüber keine offizielle Bestätigung. Man weiß es aber, dass die Lelle, der Hans und der Leo in den berüchtigten Gaskammern Polens umgekommen sind, der Paul aber vor seinem selbst geschaufelten Grab mit tausenden anderen Leidensgenossen erschossen worden ist. […] Die Tilly ist in Theresienstadt, wo es verhältnismäßig (?!) ordentlich sein soll. Nun aber rollt der Krieg immer näher und näher diesem Orte […]
1880 in München – ermordet 1942 im Vernichtungslager Sobibor
Leo Landauer wurde am 30. Juli 1880 in München geboren. Als ältester Sohn wurde er nach einer Ausbildung in der Schweiz als Erster in das elterliche Geschäft eingeführt. 1904 wurde er Teilhaber der Firma Otto Landauer Damenmoden. Nach längeren Aufenthalten in Frankfurt a. M. und Berlin zog er im Mai 1939 zunächst zu seiner Schwester Gabriele Rosenthal in die Leopoldstraße 24. Ab Juli 1939 wohnte er mit seinem Bruder Paul und Maria Baumann in der Clemensstraße 41. Im August 1939 meldete er sich nach Berlin ab. Am 13. Juni 1942 wurde er von Berlin aus in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet.
1881 in München – ermordet 1941 in Kaunas
Paul Gabriel Landauer wurde am 31. Juli 1881 geboren. Anders als seine Brüder arbeitete er nicht im Familiengeschäft, sondern entschied sich für ein Chemiestudium. 1909 promovierte er an der Universität Würzburg. Er lebte zeitweise in Frankfurt a.M. und ab 1924 zusammen mit Kurt Landauer im Haushalt der Mutter in der Franz-Joseph-Straße 21. 1931 zog er mit Kurt Landauer und Maria Baumann in die Clemensstraße 41, wo er nach Kurt Landauers Emigration gemeinsam mit Maria Baumann, und zeitweise Bruder Leo, weiter wohnte. Er betrieb eine Provisionsvertretung für Arzneimittel, die er im Herbst 1938 abmelden musste. Am 20. November 1941 wurde Paul Landauer von München aus nach Kaunas deportiert und am 25. November ermordet.
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Franz Landauer, 1914
1882 in München – ermordet 1943 im Sammellager Westerbork
Franz Landauer wurde am 26. Juli 1882 geboren. Wie sein älterer Bruder Leo absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung und wurde 1908 Teilhaber des Familiengeschäfts. Im selben Jahr heiratete er die Münchnerin Tilly Höchstädter und zog mit ihr in eine Wohnung in der Königinstraße 85. 1913 übernahm er mit Leo und Kurt Landauer die Leitung der Firma. Nach dem Konkurs arbeitete er als Vertreter für die Phönix-Lebensversicherung. Im Juli 1938 mussten Franz und Tilly Landauer ihre Wohnung verlassen und in die Hohenstaufenstraße 7 umziehen. Im September 1938 musste Franz Landauer sein Gewerbe als Versicherungsvertreter abmelden. Dem Ehepaar gelang im August 1939 die Flucht nach Amsterdam, wo bereits Tillys Mutter und Schwester lebten. Doch nach der deutschen Besatzung der Niederlande waren Jüdinnen und Juden auch dort nicht mehr sicher.
Am 10. Dezember 1942 wurden Franz und Tilly Landauer von Amsterdam aus in das Konzentrationslager Kamp Westerbork verschleppt, wo Franz Landauer am 10. Juli 1943 an den katastrophalen Lebensbedingungen starb. Tilly Landauer wurde weiter nach Auschwitz deportiert und dort am 15. Oktober 1944 ermordet.
1886 in München – 1929 in Berlin
Über das Leben von Kurt Landauers jüngerem Bruder Alfons ist wenig bekannt. Er war Miteigentümer von Otto Landauer Damenmoden und führte das Geschäft, während seine älteren Brüder im Ersten Weltkrieg waren. 1929 starb er mit nur 43 Jahren in Berlin. Er hinterließ seine Frau Ilse, geb. Jonas (1900 in Paderborn-1934 in München), und seinen Sohn Otto Landauer, später Richard Oliver Langham (1921 in München-2007 in Napa, Kalifornien).
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Gabriele Rosenthal, um 1938
1887 in München – ermordet 1942 im Ghetto Piaski
Gabriele Landauer wurde am 29. Oktober 1887 in München geboren. Sie besuchte die Töchterschule. 1910 heiratete sie den Münchner Kaufmann und Kommerzienrat Martin Rosenthal. Rosenthal führte das Betten- und Wäschegeschäft Albert Rosenthal in der Kaufingerstraße 30/31, das er zu einem führenden Haus für Hotelausstattungen ausgebaut hatte. 1910 wurde ihr Sohn Albert Johann Wolfgang „Hans“ Rosenthal geboren. 1931 starb Martin Rosenthal während einer Geschäftsreise in Frankfurt am Main.
Im November 1938 durchsuchte die Gestapo Gabriele Rosenthals Wohnung in der Leopoldstraße 24 und beschlagnahmte ihre Kunstsammlung sowie Teile ihrer Bibliothek. Rosenthal bemühte sich intensiv um eine Ausreisemöglichkeit für sich und ihren Sohn. Hans Rosenthal war aufgrund einer psychischen Erkrankung seit 1937 in einer Pflegeanstalt in Bendorf am Rhein untergebracht. Im Juli 1940 musste Rosenthal ihre Wohnung verlassen. Ab Dezember 1941 lebte sie in Einrichtungen der Israelitischen Kultusgemeinde, für die sie arbeitete, zunächst im Krankenheim der IKG und ab Februar 1942 in deren Altenheim in der Mathildenstraße 9. Am 4. April 1942 wurde sie in das Getto Piaski deportiert und ermordet. Hans Rosenthal wurde am 15. Juni 1942 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet.
1891 in München – 1973 in Haifa
Henny Landauer wurde 1891 in München in München geboren. Sie heiratete den Rechtsanwalt und Justizrat Dr. Julius Siegel, mit dem sie zwei Kinder bekam. Bereits 1934 emigrierte die Familie nach Palästina. Nach erneutem Studium und Examen konnte Julius Siegel dort ab 1938 wieder als Anwalt arbeiten. Henny Siegel starb 1973 in Haifa. Ihr Sohn Ulrich Leopold "Uri" Siegel zog 1956 zurück nach München, wo er als Anwalt mit Fokus auf Entschädigungs- und Rückerstattungsangelegenheiten arbeitete. Er starb 2020.
Henny Siegel, 1930
Julius Siegel, um 1940 in Haifa
Ulrich Leopold "Uri" Siegel in der Jewish Brigade, 1942 in Haifa
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Briefwechsel Kurt Landauer und Maria Baumann, 1946–1947
Heute wurde mitgeteilt, dass der Postverkehr mit Deutschland wieder aufgenommen worden ist.
Kurt Landauer an Maria Baumann, 2. April 1946
Nach dem Einmarsch der Alliierten war der gesamte Postverkehr im besetzten Deutschen Reich zum Erliegen gekommen. Erst im April 1946 können Kurt Landauer und Maria Baumann ihren Briefwechsel wieder aufnehmen. Bereits in seinem ersten Brief verkündet Landauer:
Also im Sommer will ich nach München und, wenn es klappt, dann zum Herbst wieder für ganz.
Die Rückkehr nach München ist jedoch mit großen bürokratischen Hürden verbunden und verzögert sich um Monate. Landauer und Baumann nutzen diese Zeit und den Briefwechsel, um ihr Verhältnis zueinander zu klären und ihr gemeinsames Leben in München zu planen.
Geliebte Maria!
Diesen Brief wollte ich Ihnen schon seit langer Zeit schreiben, ich habe ihn immer wieder hinausgeschoben. Es hat aber keinen Sinn, weiterhin zuzuwarten. Sein Inhalt ist ernst und aufrichtig, er erheischt eine Antwort von Ihnen, ebenso ernst und ebenso aufrichtig.
Kurt Landauer, 21. Dezember 1946
Mein guter, lieber Kurt!
Heute erhielt ich Deinen so ernsten und inhaltsschweren Brief vom 21. Dez. und ich will Dir gleich antworten. Ich habe erst richtig Herzklopfen bekommen am Anfang Deines lieben Briefes, aber beim Weiterlesen wurde ich doch sehr froh, dass Du Dein Kommen nicht in Frage stellst, sondern sogar um meinetwillen kommen willst.
Maria Baumann, 9. Januar 1946
Ich fange an, für unseren gemeinsamen Haushalt vorzusorgen, und habe schon einige brauchbare kleinere Artikel bekommen.
Maria Baumann, 10. Februar 1947
Ja, mein Liebes, nun wird es wirklich bald ernst. Bleibt nur zu hoffen und zu wünschen, dass wir auch eine richtige Bleibe finden können.
Kurt Landauer, 14. Februar 1947
Bestes Herzele, es geht mir wie Ihnen, ich werde langsam zappelig, ich bin überhaupt nur noch [am] Warten! Aber auch das geht vorüber, nochmal so lange dauert’s ja nicht!
Maria Baumann, 7. März 1947
Hab mir schon ungefähr eingeteilt, wie ich packe. Erinnerst Du Dich noch ans Probe- und wirkliche Packen? Das war so traurig und um wie viel schöner wird das gemeinsame Auspacken sein!
Kurt Landauer, 16. April 1947
Am 1. Juni 1947 kehrt Landauer nach Deutschland zurück. Er überquert die Grenze bei Kreuzlingen–Konstanz und verbringt zunächst einige Tage bei Maria Baumanns Familie in Memmingen. Am 26. Juni 1947 kommt er nach München zurück. Das städtischen Wohnungsamt weist ihm eine Wohnung im ersten Stock der Virchowstraße 14 ein, wo er nach acht Jahren Trennung gemeinsam mit Maria Baumann einzieht.
Einzelne Briefe aus den Jahren 1947 und 1948 geben Einblick in die Zeit nach Landauers Rückkehr. Wenn Maria Baumann ihre Familie in Memmingen besucht, schreibt Landauer ihr von Fußballspielen und Treffen mit alten Münchner Bekannten. Am 19. August 1947 wird Landauer erneut Präsident des FC Bayern. 1955 heiraten er und Maria Baumann.
Kurt und Maria Landauer, 1950er Jahre
Auch der Kontakt zur Familie Klauber-Klopfer bleibt bestehen. Im Juli 1947 gelang Maria Klopfer mit ihren Eltern die Überfahrt in die USA, wo sie wieder mit ihrem Mann und der restlichen Familie vereint war. Maria Baumann schreibt immer wieder Dankesbriefe an Maria Klopfer für Päckchen, die die befreundete Familie aus New York schickt.
Landauer bleibt bis 1951 FCB-Präsident. Er zeigt sich diplomatisch im Umgang mit den alliierten Behörden und mit seinem früheren Münchner Umfeld. Er setzt sich unter anderem für ein neues Trainingsgelände ein.
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Kurt-Landauer-Denkmal auf dem Trainingsgelände Säbener Straße
Kurt Landauer stirbt am 21. Dezember 1961 in München und wird auf dem Neuen Israelitischen Friedhof beerdigt.
Das Jüdische Museum München erhält 2018 von der Familie Baumann den Nachlass von Kurt und Maria Baumann, der ein Briefkonvolut und ein Fotoalbum enthält. Der Lebensbericht von Kurt Landauer sowie der Briefwechsel mit Maria Baumann erscheinen 2021 im Insel Verlag, herausgegeben von Jutta Fleckenstein und Rachel Salamander unter Mitarbeit von Lara Theobalt und Lilian Harlander.
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Aktenmappe Kurt Landauer
| Video zur Briefedition auf dem YouTube-Kanal des Jüdischen Museums München (6:14 min.; Smartphone für Vollbild drehen) |