Eine Künstlerin und vier Künstler der Sche’erit Hapleta stellten ihre Werke im November 1948 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus aus. Sie hatten überlebt und beanspruchten eine Stimme.
Diese Story stellt sie vor und rekonstruiert die „Ausstellung der Jüdischen Künstler“.
Initiative
Bereits im Januar 1947 organisierte der Künstler und Professor an der UNRRA-Universität Maximilian Feuerring eine Ausstellung mit 336 Arbeiten von 71 DP-Künstler*innen, darunter 35 eigene Arbeiten. Vertreten waren Künstler*innen aus Polen, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Jugoslawien und der Ukraine, die als Displaced Persons in der US-Zone registriert waren. Sie wurden nach ihrer Herkunft im Ausstellungsprogramm gelistet, eine eigene Kategorie „jüdisch“ gab es nicht.
Die Idee zu einer Ausstellung jüdischer DP-Künstler*innen entstand im Oktober 1947. Feuerring war Mitglied im Schriftstellerverband der befreiten Juden, zu dem neben Schriftsteller*innen und Journalist*innen auch einige wenige bildende Künstler*innen gehörten. Im Oktober 1947 beschloss die Gruppe eine eigene Ausstellung zu organisieren. Es wurde ein „Künstler-Rat“ gegründet und mit der Organisation betraut.
Bürokratie
Im Januar 1948 wandte sich der „Künstler-Rat“ mit dem Wunsch nach Ausstellungsräumen an Philipp Auerbach, Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in Bayern, und die Direktion der Städtischen Kunstsammlungen.
Die Leitung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus hatte zu dieser Zeit Dr. Arthur Rümann inne, der zugleich Direktor der Städtischen Kunstsammlungen war. Er sollte das stark zerstörte Gebäude der Städtischen Galerie am Königsplatz wieder nutzbar machen. Rümann nahm die Anfrage streng bürokratisch auf:
Ich schicke Ihnen die betreffenden Herren der jüdischen Künstlergruppe zu persönlichen Verhandlungen und möchte dabei bemerken, dass die Herren mir ausdrücklich gesagt haben, die amerikanische Militärregierung befürwortet ihren Plan, sodass sie wohl in der Lage sein werden (im Gegensatz zu unseren Münchner Künstlern) die Mietsumme, um deren Festsetzung ich Sie ersuche, zu bezahlen. Ich möchte besonderen Nachdruck darauf legen, dass der Mietvertrag mit den Herren schriftlich festgelegt wird, um nicht Gefahr zu laufen, nachträglich Enttäuschungen erleben zu müssen.
Arthur Rümann, 19. Oktober 1948
Nachdem Feuerring nochmals persönlich vorgesprochen hatte, erfolgte die Zusage für vier Räume im linken Flügel des Obergeschosses. Neben 376 DM für die Raummiete und 110 DM für Reinigungskosten wurde vereinbart, dass die Ausstellenden das Kassen- und Aufsichtspersonal selbst stellen und die Heizkosten übernehmen.
Plakat „Oysshtelung fun yidishe kinstler“ [Ausstellung der Jüdischen Künstler], Hg. vom Kulturamt des Zentralkomitees der befreiten Juden in der amerikanischen Zone, München, 1948
Am 7. November 1948 konnte die „Ausstellung der Jüdischen Künstler“ eröffnet werden.
Pinkus Schwarz (später Pinchas Shaar), Maximilian Feuerring, Ewa Brzezińska und Hirsch Szylis (v.l.n.r.), Städtische Galerie im Lenbachhaus, 1948
Eröffnung der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 1948
Pinkus Schwarz (später Pinchas Shaar), Hirsch Szylis, Ewa Brzezińska (sitzend) im Eingangsbereich der Städtische Galerie im Lenbachhaus, 1948
Puzzle
Im Archiv der Städtischen Galerie im Lenbachhaus befindet sich eine Broschüre mit den Titeln der 165 in der Ausstellung gezeigten Kunstwerke sowie kurzen Biografien der fünf Beitragenden. Abbildungen gibt es in der Broschüre nicht. Mithilfe von zeitgenössischen Fotos, aufgenommen von Alex Hochhäuser, und der Unterstützung zahlreicher Archive und Museen konnte das Jüdische Museum München nun einige der gezeigten Werke in heutigen Sammlungen ausfindig machen und zuordnen.
Begleitheft zur „Ausstellung der Jüdischen Künstler“, Hg. vom Kulturamt des Zentralkomitees der befreiten Juden in der US-Zone, München, Herbst 1948
Ewa Brzezińska überlebte das Getto Łódź und mehrere Konzentrationslager. Nach ihrer Befreiung kam sie in das DP-Krankenhaus Gauting und anschließend in das DP-Lager Bad Wörishofen, wo sie im lagereigenen Krankenhaus arbeitete.
Ewa Brzezińska besuchte in Łódź eine Zeichenschule und lernte bei den Malern Adolf Behrman, bekannt für seine Szenen aus dem sogenannten Schtetl, und Konstanty Mackiewicz, der unter anderem Theaterkulissen entwarf. Brzezińska präsentierte ihre Arbeiten bei der „Exhibition of Jewish Artist“ in Łódź 1932 und bei der „Exhibition of YIVO“ in Vilnius 1938.
1939 wurde sie in das Getto Łódź verschleppt und später in verschiedene Konzentrationslager deportiert, bis sie schließlich aus einem Deportationszug aus dem Außenlager Allach bei Dachau befreit wurde. Sie befand sich bis März 1946 im DP-Krankenhaus Gauting und kam dann in das jüdische DP-Lager Bad Wörishofen in der Nähe von Landsberg. Hier arbeitete sie als Sozialarbeiterin im lagereigenen DP-Krankenhaus.
Brzezińska emigrierte 1949 nach Israel und stellte 1959, 1962 und 1965 in der Gruppenausstellung „Kunst in Israel“ im Tel Aviv Museum of Art aus.
Nach der Befreiung begann ich wieder zu arbeiten. Wegen des Mangels von Ölfarben male ich vorläufig nur mit Aquarell.
Ewa Brzezińska
Handschriftlicher Lebenslauf für den Schriftstellerverband der Sche’erit Hapleta, DP-Lager Bad Wörishofen, um 1947
Ich bin in der Stadt Lodz in Polen geboren. Nach Beendigung einer Mittelschule besuchte ich eine Zeichenschule und gleichzeitig lernte ich Malerei bei dem bekannten Künstler Adolf Behrman und 3 Jahre beim Theater-Dekorateur Konstany Mackiewicz. Meine Bilder waren auf verschiedenen Ausstellungen in Lodz und Warschau. Im Jahre 1938 habe ich für mein Bild „Blumen“ eine Auszeichnung auf der Ausstellung im Verband der Jüdischen Maler in Warschau bekommen.
Meine alle Bilder (60 St.) sind von Deutschen geraubt worden. Meine 30 Bilder aus Lodzer Getto hat man mir in Auschwitz weggenommen. Das letzte Kriegsjahr verbrachte ich in verschiedenen Konzentrationslagern in Deutschland.
Nach der Befreiung begann ich wieder zu arbeiten. Wegen des Mangels von Ölfarben male ich vorläufig nur Aquarell.
Gezeigte Werke
Pejzaż [poln. Landschaft], o.O., nach 1945, Aquarell
Drzewa [poln. Bäume], o.O., nach 1945, Aquarell
In der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“ zeigte Brzezińska zwanzig Aquarelle, die sie im DP-Lager gemalt hatte, elf davon mit dem Titel „Pejzaż“ [poln. Landschaft]. Eines der Bilder befindet sich seit der Nachkriegszeit in der Sammlung des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Es ist in der linken Ecke mit E. BRZEZIŃSKA, in der rechten unteren Ecke auf Hebräisch signiert. Das Aquarell „Drzewa“ [poln. Bäume] befindet sich — wahrscheinlich wegen Papiermangels — auf der Rückseite des Aquarells „Pejzaż“. Es ist ebenfalls in der linken Ecke mit E. BRZEZIŃSKA, in der rechten unteren Ecke auf Hebräisch signiert.
1. Autoporträt, Aquarell
2. Sonnenbad, Aquarell
3. Blumen, Aquarell
4. Blumen, Aquarell
5. Blumen, Aquarell
6. Blumen, Aquarell
7. Blumen, Aquarell
8. Blumen, Öl
9. Blumen, Öl
10. Landschaft, Aquarell
11. Landschaft, Aquarell
12. Landschaft, Aquarell
13. Landschaft, Aquarell
14. Landschaft, Aquarell
15. Landschaft, Aquarell
16. Landschaft, Aquarell
17. Landschaft, Aquarell
18. Landschaft, Aquarell
19. Landschaft, Aquarell
20. Landschaft, Aquarell
Alltagsszene aus dem Getto
Jauchewagen im Getto Łódź, o.O., um 1947, Aquarell
Ewa Brzezińska dokumentierte eine Alltagsszene aus dem Getto Łódź: Das mühevolle Entsorgen der Abwässer. Auch andere Künstler dort, darunter Hirsch Szylis, Israel Lejserowicz, Itzhak (Wincenty) Brauner und der Fotograf Mendel Grossman stellten diesen Anblick in ihren Werken dar.
Maximilian Feuerring wirkte als Künstler, Kunstkritiker und Professor in verschiedenen europäischen Ländern. Er überlebte das polnische Offiziersgefangenenlager in Murnau am Staffelsee. Nach seiner Befreiung wurde er Professor an der UNRRA-Universität.
Maximilian Feuerring studierte Malerei in Florenz und Rom. 1926 habilitierte er sich und ging nach Paris. Er war als Künstler, Kunstkritiker und Professor in verschiedenen europäischen Ländern tätig und unterrichtete ab 1934 in Warschau. Am 1. September 1939 wurde er als Oberleutnant in die polnische Armee eingezogen. Nach seiner Gefangennahme durch die Deutschen kam er im Dezember 1939 in das polnische Offiziersgefangenenlager Oflag VII-A in Murnau am Staffelsee. Wie in anderen deutschen Kriegsgefangenenlagern wurden die Internierten jüdischer Herkunft – also auch Feuerring – von den übrigen Gefangenen phasenweise getrennt und in sogenannten Lagergettos untergebracht.
Nach seiner Befreiung wurde Feuerring als Professor an die UNRRA-Universität berufen. Er organisierte 1947 die „Ausstellung der Displaced Persons“ mit 71 DP-Künstlerinnen und -Künstlern. Ein Jahr später, in der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“ zeigte er 74 eigene Werke, die in der Kriegsgefangenschaft und in seiner Zeit als DP in München entstanden waren.
Feuerring emigrierte 1950 nach Sydney und gab seine Werke unter anderem an die National Gallery of Australia, an das Sydney Jewish Museum und an die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Gezeigte Werke
Help the Prisoners of War [Helft den Kriegsgefangenen], Murnau (Oberbayern), 1942–1945, Aquarell
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
View from Offizier Lager [Blick aus dem Offizierslager], Murnau (Oberbayern), 1939–1945, Serie von 14 Aquarellen
Maximilian Feuerring in der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 1948
Maximilian Feuerring präsentierte Werke mit den Titeln „Frühling“, „Landschaft“, „Zaun“ oder „Staffelsee“, die wohl im Invaliden-/Krankenblock des Kriegsgefangenenlagers entstanden sind. Nur dort war ihm das Malen erlaubt. Die Serie von Aquarellen „Blick aus dem Offizierslager“ befindet sich im Sydney Jewish Museum und spiegelt immer dieselbe Aussicht: Zaun, Bäume, See, Alpen und Himmel, die sich nur je nach Tageszeit, Wetter und Jahreszeit verändern. Die Werke sind in der rechten unteren Ecke mit „M Feuerring“ signiert. Die Rückseiten aller Werke sind mit dem Stempel „Oflag V11 A 18 Gepruft“ (von einem Zensor geprüft) versehen.
Unter den fünf jüdischen Künstlern, die in der Städtischen Galerie ihre Arbeiten zeigen, ist Maximilian Feuerring der gereifteste: ein starkes, die Welt der Erscheinung in Farbe sehendes, diszipliniertes Talent.
Süddeutsche Zeitung, 11.12.1948
21. Mutter u. Kind, Schichtenguache
22. Stilleben, Schichtenguache
23. Ruinenstadt, Schichtenguache
24. Blumenbinderin, Schichtenguache
25. Blumen, Schichtenguache
26. Mohnblumen, Schichtenguache
27. Frühling im Garten, Schichtenguache
28. Spaziergang, Schichtenguache
29. Vorfrühling, Schichtenguache
30. Blumen, Schichtenguache
31. Frauenkopf, Schichtenguache
32. Gärtner, Schichtenguache
33. Vor der Oper, Schichtenguache
34. Starnbergersee, Schichtenguache
35. Zwei Akte, Tempera
36. Stilleben, Tempera
37. Staffelsee, Tempera
38. Der Zaun, Tempera
39. Jahrmarktbude, Tempera
40. Kasperltheater, Tempera
41. Halbfigur, Tempera
42. Sitzende, Tempera
43. Vor dem Spiegel, Tempera
44. Das Alter, Tempera
45. Blumen, Tempera
46. Akte, Tempera
47. Blumen, Tempera
48. Blumen, Tempera
49. Begegnung, Tempera
50. Landschaft, Tempera
51. Zwei Köpfe, Tempera
52. Kaffeehaus, Tempera
53. Staffelsee, Tempera
54. Toilette, Tempera
55. Halbakt, Tempera
56. Frühling, Aquarell
57. Blumen, Aquarell
58. Blumen mit Frauenkopf, Aquarell
59. Blumen, Aquarell
60. Blumen, Aquarell
61. Landschaft, Aquarell
62. Kinderfrauen, Aquarell
63. Komposition, Farbige Tusche
64. Sitzende, Farbige Tusche
65. Im Garten, Farbige Tusche
66. Begegnung, Farbige Tusche
67. Carneval, Farbige Tusche
68. Im Atelier, Farbige Tusche
69. Zwei Welten, Farbige Tusche
70. In der Gardarobe, Farbige Tusche
71. Mutter und Tochter, Farbige Tusche
72. Singende Kinder, Farbige Tusche
73. Das Kämmen, Farbige Tusche
74. Zwei Köpfe, Farbige Tusche
75. Im Eisenbahnwagen, Farbige Tusche
76. Auf der Straße, Farbige Tusche
77. In der Taverne, Farbige Tusche
78. Auf der Straße, Farbige Tusche
79. Komposition, Farbige Tusche
80. Auf der Straße, Farbige Tusche
81. Bukolik, Farbige Tusche
82. Arzt und Patient, Farbige Tusche
83. In der Taverne, Farbige Tusche
84. Familie, Farbige Tusche
85. In der Loge, Farbige Tusche
86. Auf Reise, Farbige Tusche
87. In der Loge, Farbige Tusche
88. Besuch, Farbige Tusche
89. Familie, Farbige Tusche
90. Auf der Bühne, Farbige Tusche
91. Akt, Zeichnung
92. Akt, Zeichnung
93. Sitzende, Zeichnung
94. Stehende, Zeichnung
95. Tango in der Kriegsgefangenschaft, Zeichnung
Leon Kraicer wurde 1913 in Warschau geboren. Er überlebte das Warschauer Getto und kam nach seiner Befreiung ins DP-Lager Bergen-Belsen. 1948 lebte er im jüdischen DP-Lager Geretsried in einer früheren Fabrikarbeitersiedlung bei Wolfratshausen. Über den weiteren Weg von Leon Kraicer ist bisher nichts bekannt.
Gezeigte Werke
„Betrunken“, Holzplastik, o.J.
Pinkus Schwarz (Pinchas Shaar), Maximilian Feuerring, Hirsch Szylis (v.l.) neben der Skulptur „Betrunken“ auf dem Sockel.
Leon Kraicer zeigte fünf Skulpturen aus Holz mit Werktiteln wie „Musikanten“, „Debatte“ und „Betrunken“ in der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“. Die Skulpturen sind heute verschollen.
96. Musikanten, Holzplastik
97. Verkäuferin, Holzplastik
98. Debatte, Holzplastik
99. Meditation, Holzplastik
100. Betrunken, Holzplastik
Der Jüngste unter den Ausstellenden war Pinkus Schwarz. Er überlebte das Getto Łódź und zwei Konzentrationslager. Nach der Befreiung kehrte er nach Łódź zurück, wollte aber nach dem Erlebten dort nicht bleiben. Über das DP-Hospital St. Ottilien gelangte er in das DP-Sanatorium für Tuberkulose-Kranke in Gauting, wo er wieder zu malen begann.
Pinkus Schwarz hatte in frühen Jahren bei Władysław Strzemiński gelernt, einem der bedeutendsten Künstler der Avantgarde in Polen und Mitbegründer des Kunstmuseums (Muzeum Sztuki) in Łódź, der ihm auch seine erste Ausstellung in seiner Heimatstadt ermöglichte.
1939 floh Schwarz mit seinen Brüdern nach Lwiw, das damals von der Sowjetunion besetzt war, kam aber 1940 nach Łódź zurück, um seine Eltern und seine Schwester im Getto zu unterstützen. Er wurde 1944 mit seinem Vater und seinen Brüdern in das KZ Oranienburg deportiert, später in ein Außenlager des KZ Sachsenhausen.
Nach der Befreiung durch die sowjetische Armee ging Schwarz nach Łódź zurück, wollte aber nach dem Erlebten dort nicht bleiben und wurde am 28. Dezember 1945 im DP-Krankenhaus St. Ottilien in Oberbayern registriert. Zur Zeit der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“ lebte er im jüdischen DP-Lager Feldafing. Schwarz zeigte 46 Arbeiten, darunter sieben Bühnenmodelle, die er für das jiddischsprachige Lager-Theater entworfen hatte.
Schwarz emigrierte 1948 nach Paris, 1951 nach Israel und änderte seinen Namen in Pinchas Shaar. Seine Arbeiten stellte er unter anderem im Tel Aviv Museum of Art, im Jüdischen Museum in New York und 1960 im Pavillon Israel auf der Biennale in Venedig aus.
Gezeigte Werke
Where to? [Wohin?], DP-Sanatorium Gauting, 1945, Öl auf Holztafel
Pinkus Schwarz vor seinen Arbeiten in der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 1948
Schwarz zeigte 46 Arbeiten, darunter sieben Bühnenmodelle, die er wahrscheinlich für das jiddische Lager-Theater entworfen hatte.
Ein Ölgemälde auf Holz mit dem Titel „Where to?“, gemalt 1945 im DP- Sanatorium Gauting, befindet sich heute in der Yad Vashem Art Collection in Jerusalem. Zu sehen ist ein psychisch und physisch völlig erschöpfter Mensch, der mit dem Rücken an einer Wand sitzt, nach vorne gebeugt. Seine Gesichtszüge scheinen im Lichtspiel verschwunden. Es handelt sich hierbei um die Arbeit „Sitting man“ in Öl aus der Werkliste der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“.
Pinkus Schwarz ist es gelungen das Ghetto- und Auschwitzerlebnis nicht weniger unmittelbar, aber dabei völlig unnaturalistisch zu gestalten. Der Einfluss moderner französischer Kunst ist unverkennbar.
Münchner Merkur, 22.11.1948
101. Figürliche Komposition, Öl
102. Die Wanderer, Öl
103. KZ Reminiszenzen, Öl
104. Maapilin, Öl
105. KZ Reminiszenzen, Öl
106. Beim Essen (Ghetto), Öl
107. Mistwagen im Ghetto, Öl
108. Sitzender, Öl
109. KZler, Öl
110. KZ Reminiszenzen, Öl
111. Komposition, Öl
112. Stilleben, Öl
113. Der Bettkranke, Aquarell
114. Junger Talmudist, Aquarell
115. Stilleben, Aquarell
116. Saxophonist, Aquarell
117. Ringkämpfer, Aquarell
118. Arme Liebe, Aquarell
119. Mutter und Kind, Aquarell
120. Menschen, Aquarell
121. KZ Reminiszenzen, Aquarell
122. Blumen, Aquarell
123. Musikant, Aquarell
124. Basist, Aquarell
125. Geiger, Aquarell
126. Toilette, Aquarell
127. Kartenspieler, Aquarell
128. Figur mit Blumen, Aquarell
129. Drei Jünglinge, Aquarell
130. Der Baum, Aquarell
131. Akt, Zeichnung
132. Kinderbad, Zeichnung
133. Odaliske, Zeichnung
134. Aussiedlung, Zeichnung
135. Der Bildhauer, Zeichnung
136. Akt, Zeichnung
137. Die Klage, Gipsplastik
138. Liegender Akt, Gipsplastik
Bühenmodelle:
139. Für „Menschen“ v. Schalom Aleichem
140. „Marzepanes“ v. Kadie Molodowska
141. „Tewje der milchiker“ v. Schalom Aleichem
142. „Tewje der milchiker“ v. Schalom Aleichem
143. „Schlomo-Molcho“ v. A. Leiles
144. „Hoffnung“ v. H. Heiermans
145. „Hoffnung“ v. H. Heiermans
145.-152. Plakate, o.T.
Pinkus Schwarz als Plakatkünstler
Plakat „Helft shraybn di geshikhte von letstn khurbn“ [Helft mit, die Geschichte der letzten Zerstörung zu schreiben], Entwurf Pinkus Schwarz, München, 1947
In der „Ausstellung der Jüdischen Künstler“ stellte Schwarz auch Plakate aus. Es könnte sich hierbei um Entwürfe handeln, die er für DP-Institutionen fertigte: So hatte sich Pinkus Schwarz 1947 an einem Wettbewerb der Zentralen Historischen Kommission in München beteiligt.
Das Plakat zeigt einen toten Häftling, vor dessen Brust eine aufgerollte Schriftenrolle liegt. In hebräischen Lettern sind dort die ersten Worte aus dem Buch Esther der hebräischen Bibel zu lesen: „Es begab sich in jenen Tagen [...]“. Darunter steht in Jiddisch die Aufforderung an die Displaced Persons, sich an der Dokumentation der jüngsten Katastrophe – fun letzn churbn – zu beteiligen. Die Zentrale Historische Kommission sammelte Fotografien, Dokumente und Erinnerungen , die Zeugnis von der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Europa ablegen.
Hirsch Szylis überlebte das Getto Łódź und mehrere Konzentrationslager. Nach der Befreiung kam er in das DP-Lager Feldafing. Es gelang ihm, Bilder, die er heimlich im Getto gemalt und dort versteckt hatte, nach Kriegsende zu bergen und auszustellen.
Hirsch Szylis war ein Schüler des bekannten polnischen Malers Maurycy Trębacz. Er studierte Kunst in Łódź und Warschau und stellte seine Werke in ganz Polen aus.
Im Dezember 1939 wurde er mit seiner Frau, seiner Tochter, den Eltern und seiner Schwester in das Getto Łódź gezwungen. Dort erhielt er auf Befehl des Leiters der deutschen NS-Verwaltung, den Auftrag, SS-Offiziere zu porträtieren. Im Geheimen malte Szylis Alltagsszenen aus dem Getto und versteckte die Bilder.
1944 wurde er ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, dann ins KZ Sachsenhausen, ins KZ Flossenbürg und ins KZ Dachau, wo er schließlich befreit wurde.
Mit einem Gewicht von nur 37 Kilogramm gelangte er in das DP-Lager Feldafing. Als er von der Entdeckung einiger seiner Arbeiten im ehemaligen Getto Łódź erfuhr, wandte er sich an das Zentralkomitee der befreiten Juden und benannte weitere Verstecke, sodass er einzelne seiner Werke zurückerhalten konnte.
Szylis emigrierte 1950 zunächst nach Paris und ging 1953 nach Israel. Dort lebte er in der Künstlerkolonie Safed im Norden Israels.
Gezeigte Werke
Children in the Ghetto [Kinder im Getto], Getto Łódź, 1942-1944, Aniline auf Jute
Sketch for „The Troubadour“ [Skizze für „Der Troubadour“], Getto Łódź, 1943, Buntstift auf Pappe
Street in the Łódź Ghetto [Straße im Getto Łódź], Getto Łódź, 1943, Buntstift auf Pappe
A Street in the Łódź Ghetto [Eine Straße im Getto Łódź], Getto Łódź, 1943, Buntstift auf Pappe
The Troubadour [Der Troubadour], Getto Łódź, 1943–44, Buntstift auf Pappe
Houses in the Ghetto [Häuser im Getto], Getto Łódź, 1939–1942, Kreide und Gouache auf Pappe
Szylis stellte 13 Bilder mit Szenen aus dem Getto Łódź aus, darunter die heute erhaltenen Werke „Mistwagen im Lodscher Ghetto“ und „Kinder im Ghetto-Hof“. Der Jauchewagen war eines der charakteristischen Kennzeichen des Getto Łódź, das zum Symbol der physischen Versklavung und des Ausmaßes der Erniedrigung wurde, das die Bewohnerinnen und Bewohner erlitten.
153. Mistwagen im Lodscher-Ghetto, Mischtechnik
154. Lebensmitteltransport, Mischtechnik
155. Kinder im Ghetto Hof, Mischtechnik
156. Leichensammler im Ghetto, Mischtechnik
157. Hofmusiker, Mischtechnik
158. Lodscher Ghetto, Mischtechnik
159. Suppe, Mischtechnik
160. Das Ghetto Viertel „Maryschin“, Mischtechnik
161. Galgen im Ghetto, Mischtechnik
162. Portraitstudie M.M., Kohlezeichnung
163. Portraitstudie M.H., Kohlezeichnung
164. Autoporträt, Pastell
165. Porträt Frl. B.K., Pastell
„Ausstellung des jüdischen Künstlers H. Szylis“, München, 1950
Ausstellungskatalog der „Bilder-Ausstellung“ mit Bildern von Hirsch Szylis München, 1950
1950 folgte für Szylis eine Solo-Ausstellung in der Möhlstraße 12a, wo auf engstem Raum, direkt neben dem Zentralkomitee der befreiten Juden, auch der jüdische Schriftstellerverband und die Zentrale Historische Kommission ihre Büros hatten. Die Ausstellung mit 32 Bildern war dort vom 9. bis 23. April 1950 zu sehen. Dazu erschien eine bebilderte Broschüre in jiddischer und deutscher Sprache.
Rezeption
Die Kunst rettete ihr Leben
Münchner Merkur, 22. November 1948
Die Kunst rettete ihr Leben
Die Kunst hat dem jüdischen Maler H. Szylis das Leben gerettet. Als er ins Kz Auschwitz eingeliefert wurde, sprach es sich bei den Wachen herum, daß er sehr charakteristische Porträts zeichnen könne. Alsbald durfte er nicht nur die Köpfe der SS-Männer nach der Natur, sondern auch deren Frauen und Mädchen nach Photographien abkonterfeien, ja besonders „Gemütvolle" hatten den Einfall, ihn klassische Bilder nach Reproduktionen kopieren zu lassen. Böcklins Toteninsel und das Selbstporträt mit dem Tod wurden bevorzugt: Dürers Selbstbildnis für das Kasino bestimmt. Sogar Himmlers Schwager bestellte sich ein Gemälde des mit Stacheldraht abgesperrten Ghettos von [Lodz].
Ohne Ressentiment und Ironie erzählt es der Maler – später gerade noch knapp dem Tod in Dachau entronnen – vor seinen jetzt nochmals aus der Erinnerung mit Kohle und Pastellstift ausgeführten Bildern düsterer östlicher Bedrücktheit. Seinem jüngeren Leidensgenossen Pinkus Schwarz ist es gelungen, das Ghetto- und das Auschwitzerlebnis nicht weniger unmittelbar, aber dabei völlig unnaturalistisch zu gestalten. Der Einfluß moderner französischer Kunst ist unverkennbar, doch sind in lehmigen Farben einige „Reminiszenzen“ zu persönlicher, erschütternder und befreiender Form geworden; diese große Begabung ist so vielseitig fruchtbar, daß sie auch die Gefahr eines Abgleitens – zumal ins konventionelle Plakat – in sich birgt.
Anderen wurde in der Leidenszeit der farbige Abglanz der Welt zum Trost. Die Blumenstücke von Prof. Maximilian Feuering leuchten in wesenseigener, harmonischer Pracht. Ewa Brzezinska hebt im bunten Teppich ihrer Landschaftsaquarelle gern das „Gewebe“ hervor und nähert sich – nicht unbedenklich – dem Abstraktdekorativen.
So stellen sich in einer Ausstellung, welche das Kulturamt beim Zentralkomitee der befreiten Juden in den Räumen der Städtischen Galerie veranstaltet, vier jüdische Maler dar, mit aller Verschiedenheit der Richtungen und Temperamente. Gemeinsam aber ist ihnen die Rettung aus äußerster Not des Lebens und der Seele durch ihre Kunst.
Pz.
Ausstellung jüdischer Künstler
Unter den fünf jüdischen Künstlern, die in der Städtischen Galerie ihre Arbeiten zeigen, ist Maximilian Feuerring der gereifteste: ein starkes, die Welt der Erscheinung in Farben sehendes, diszipliniertes Talent. Seine Aquarelle. Schichtengouaches, Tempera- und farbigen Tuschblätter sind unverkennbar von einem intensiven Studium der Pariser Malerei, im besonderen der von Matisse und Bonnard, bestimmt. Dieser Maler hat sich einer guten Schule anvertraut, ohne seine Selbständigkeit zu verlieren. Er zeigt Landschaften mit oberbayerischen Motiven von einer hochkultivierten, duftigen Farbigkeit, Stilleben, Porträts, Akte, Interieurs von klarem, farbigem Aufbau. Freilich entgeht er nicht immer der Gefahr, zu sehr in eine bengalische Farbigkeit zu geraten. Hirsch Szylis ist in der farbigen Gestaltung wenig [?]. Er erzählt, im Künstlerischen naiv, im Ausdruck mit der Drastik des vom Motiv gepackten Autodidakten, Szenen des trostlosen Ghetto-Lebens von Lodz. Dem unsicher suchenden, vielseitig angeregten und sich zu vielseitig betätigenden jungen Pinkus Schwarz fehlt es noch an der zur größeren Leistung nötigen Disziplinierung, nicht an Begabung, die überall spürbar ist, auch in den Bühnenbildmodellen für das Theaterspiel in den DP-Lagern. Ewa Brzezinska kommt zu den glücklichsten Lösungen, wo sie ihrem dekorativen Empfinden gerecht werden kann. Die plastischen Arbeiten von Leon Kraicer zeigen Begabung in der Charakterisierung des Mimischen und der Bewegung, halten sich im ganzen aber in einem illustrativen Naturalismus.
H.E.
Aufbruch
Für die meisten jüdischen Displaced Persons war der Aufenthalt in der US-amerikanischen Zone nur eine Zwischenstation. Von den Organisationen und Orten, die sie in München geschaffen hatten, blieb nur wenig. Entsprechend war auch die dritte und letzte Jahreskonferenz des Schriftstellerverbandes am 19. Dezember 1948 in München von einer Aufbruchstimmung der Anwesenden geprägt.
Schließlich wanderten Pinkus Schwarz und Ewa Brzezińska nach Israel aus, Hirsch Szylis entschied sich 1950 zunächst für Paris und übersiedelte 1953 nach Israel. Maximilian Feuerring emigrierte 1950 nach Sydney. Alle vier versuchten ihr kreatives Schaffen nach ihrer „Zwischenzeit“ im Nachkriegsmünchen an ihren neuen Wohnorten fortzusetzen.
Von Leon Kraicer fehlt jede Spur.