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Marylka Bender

  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel





Marylka Bender wird am 15. Februar 1909 geboren und verbringt ihre ersten Lebens­jahre in Sosno­wice, Polen. Von dort stammt ihre Mutter Jadwiga, geb. Freistadt. Jadwiga inter­es­siert sich für Literatur und hat für zwei Semester Philo­sophie an der Uni­versität Bern studiert.

Vater Stanislaus ist aus Łódź. Dort hat er eine Aus­bildung als Litho­graf absol­viert. Anschließend stu­diert er Kunst in Paris. Von 1909 bis 1911 besucht er die Akademie der Bilden­den Künste in München.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Stanislaus, Jadwiga und Marylka Bender, 1910



1914 folgen Marylka und ihre Mutter nach München nach. Die kleine Familie bezieht eine Wohnung mit Atelier in der Isabella­straße 25 in Schwabing, die bis 1938 das Zuhause der Familie Bender bleiben wird.

Als Künstler war er mit Motiven aus dem „Schtetl“ und der ost­jüdischen Lebens­welt erfolgreich, malte aber auch Bilder, die sein bayer­isches Umfeld als Inspiration hatten.

Meine beiden Eltern haben das konzentrierte ost­jüdische Milieu als un­glück­lich und als ein Relikt einer vergangenen, über­lebten Zeit ver­standen. Dennoch waren sie ge­tränkt mit dessen schwüler Wärme.

Marylka Bender, 2000

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 125.08/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: „Der Eltern Stütze“, 1919; Hintergrund: Familie Bender in der Isabellastraße, vor 1919

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024





Beim Umzug der Familie nach München ist Marylka fünf Jahre alt und spricht nur einige Worte Deutsch. Sie lernt schnell und wird 1915 eingeschult.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka, Stanislaus und Jadwiga Bender, vor 1919

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka Bender, 1916

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09/2024

Kinderzeichnung Marylkas im Tagebuch der Mutter, 1918

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Familientreffen, vermutlich Łódź, 1910er-Jahre

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka mit Haushälterin „Morle“, nach 1917

Ab 1917 lebt Haushälterin Marie „Morle“ Lenz bei den Benders. Sie wird eine wichtige Bezugsperson für Marylka, die ihre polnisch­en Onkel und Tanten nur selten sieht.

Ende 1918 er­krank­en Marylka, ihre Eltern und Morle an der Spanischen Grippe. Am 2. Januar 1919 stirbt Jadwiga Bender im fünften Monat schwanger. Stanislaus über­nimmt Marylkas Erziehung.





  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.09/2024

Marylkas Poesiealbum, 1921–1925

Eintrag von „Papi“ Stanislaus Bender, 23.01.1921

Eintrag von „Mariele“

Eintrag von Tante Eva Hambruska, geb. Bender, 26.08.1923

Eintrag von Onkel Markus Bender, 23.09.1922

Ausbildung

Nach sechs Jahren am Gymnasium nimmt ihr Vater sie von der Schule und beginnt mit der Ausbildung in seinem Werbeatelier.

Dass ich male, das war für meinen Vater selbst­verständ­lich. Es gibt nichts Besseres und Schöneres als Malen, das war seine Ansicht… Nun, ich war dazu begabt, das stimmt schon, aber ich wurde da halt einge­fädelt, in diese Reklameabteilung.

Marylka Bender, 2012



Stanislaus und Marylka im Werbeatelier, München, Ende der 1920er-Jahre

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024



Ab 1927 besucht Marylka die Zeichen­schule Moritz Heymann in der Türken­straße. 1929 wechselt sie an die Mal- und Zeichen­schule „Die Form“ von Hein König, wo sie Klassen für figürliches Zeichnen und Aktzeichnen belegt.

Marylka Bender, o.J.



1932 reist Marylka mit einer Freundin nach Paris. Sie träumt von einem Studium an der Academie des Beaux Arts.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka Bender in Paris, vermutlich 1932

Das war eigentlich die glück­lichste Zeit meines Lebens, weil ich frei war, und das war wunder­bar.

Marylka Bender, 2012

Im Herbst 1932 kehrt Marylka nach München zu ihrem Vater zurück.

In einem Französischkurs lernt sie ihren späteren Ehemann Christian Kellerer kennen.

1932 stellt Stanislaus Bender zwei Porträts fertig: Tochter Marylka malt er vor einer sommer­lichen Landschaft. Sein Selbstporträt zeigt den 50-Jährigen in seinem Münchner Atelier.

  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Selbst­porträt, 1932; Hinter­grund: Stanislaus Bender: Porträt Marylka Bender, 1932

  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel

1933

30. Januar: Machtüber­gabe an die National­sozialisten

22. September: Gründung der Reichskulturkammer; Ausschluss jüdischer Künst­ler*innen aus dem deutschen Kunstbetrieb

Tagtäglich verfinsterte sich der Himmel mehr. Jahrelang bestehende geschäftliche wie private Beziehungen wurden abgebrochen, die Aufträge meines Vaters schrumpften merklich, das Verhalten und die Sprache der ‚Braunen‘ wurde immer provokanter und beleidigender.

Marylka Bender, 2012

1935

15. September: Die Nürn­berger Gesetze treten in Kraft und verbieten u.a. Eheschließungen sowie sexuelle Beziehungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Personen.

Marylka und ihr Freund Christian treffen sich weiterhin.

Ich übersah die beleidigende Kränkung so gut es ging, aber sie blieb natürlich haften und lag schwer wie Blei auf meinem Gemüt. Auch war die Situation für uns beide ausgesprochen gefähr­lich. Rassenschande war ein Vergehen, dem zum Min­desten Konzentrationslager drohte.

Marylka Bender, 2012

1936

Stanislaus Bender reist nach Paris, um Vor­berei­tungen für eine Emigra­tion zu treffen. Er kehrt aber zunächst nach München zurück.

1937

November: Stanislaus und Marylka verhandeln mit dem Verlagshaus Repro­ducta in Wien und planen eine Emigration nach Öster­reich.

1938

12. März: Einmarsch der Deutschen in Wien

Mit dem Anschluss Öster­reichs fällt Wien als Aus­wan­derungsziel weg und Paris bleibt die einzige Option.

Passfotografien Marylka und Stanislaus Bender, 1930er-Jahre

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024



Paris



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 32.01/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Werbegrafik für die französische Automarke Delahaye, Paris, 1930er-Jahre



Ab Oktober 1938 leben Vater und Tochter im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. Sie versuchen wieder im Bereich der Werbegrafik Fuß zu fassen.



1940

14. Juni: Einmarsch der Deutschen in Paris

Marylka und Stanislaus verlassen Paris flucht­artig. Gemeinsam mit einem befreundeten Paar fliehen sie nach Lourdes im Südwesten Frank­reichs.

Alles, was Räder hatte, war unter­wegs: Last­wagen, Leichen­wagen, Schub­karren, Fahr­räder und natürlich Autos, Autos, Autos, hollän­dische, belgische, nord­französische, alle voll­gepackt mit Koffern, Säcken, Hausrat bis zum Vogel­käfig auf dem Dach.

Marylka Bender, 2012

Lourdes

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09/2024

Galaprogramm des Comité des Réfugiés du Nord, Lourdes nach 1940, Illustration: Stanislaus Bender



Nach dem Waffen­still­stand mit Deutschland und der Teilung Frank­reichs wird der unbesetzte Süden Ziel für Millionen von Flücht­lingen.

Mehr zur Situation in Lourdes

Lourdes ist während des Zweiten Weltkriegs aufgrund seiner isolierten Lage in den Pyrenäen und der Nähe zu Spanien Ziel für zehntausende Geflüchtete. Bereits 1939 kommen die ersten Flüchtlinge in der Stadt an. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 steigt ihre Zahl drastisch an.

1941 eröffnet die Stadt zwei Wohnheime, um die Flüchtlinge unterzubringen. Auch die katholische Kirche bietet dringend benötigte Unter­stütz­ung. Es gründen sich zudem verschiedene Vereine. Die Geflüchteten aus dem Norden Frankreichs organisieren sich im Comité des Réfugiés du Nord, das auch gelegentliche Kultur­programme veranstaltet.

Marylka erinnert sich trotz der schwierigen Lebens­verhältnisse gerne an ihre Zeit in Lourdes.

Eine gefühlsgeladene, weihe­volle Stimmung lag in der Luft und, durch die eigene beson­dere Lebens­situation vielleicht besonders empfänglich, drang sie tief in mich ein.

Marylka Bender, 2012

In der Zeit der Verfolgung setzt sie sich erstmals mit religiösen Fragen aus­einan­der und lässt sich 1940 katholisch taufen.

Das Vichy-Regime im un­besetzten Teil Frankreichs kollaboriert mit Deutsch­land und beschließt eine Reihe antisemitischer Gesetze. Jüdinnen und Juden werden aus dem öffent­lichen Leben und der Wirtschaft verdrängt. Ab 1942 müssen sie einen gelben Stern zur Kenn­zeichnung tragen.

Marylka und Stanislaus haben in Lourdes keine Verdienst­möglichkeit und sind auf die Unter­stützung Bekann­ter angewiesen. Sie müssen sich wöchent­lich bei der örtlichen Polizei melden.

Skizzen aus Marylka Benders Skizzenbuch, vermutlich Südfrankreich, 1940er-Jahre

  • Bild: Marylka Bender, Jüdisches Museum München, JM 09/2024



1942

Juli: Massenverhaftungen und Deporationen im besetzten und un­besetz­ten Teil Frankreichs

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Im Sommer 1942 verschärft sich die Juden­verfolgung in Frank­reich.

Bereits im März 1942 werden die ersten Jüdinnen und Juden aus Frankreich in das Vernichtungs­lager Auschwitz deportiert. Im Sommer folgt eine Welle an Deportationen. Im unbesetzten Süden sind die französischen Behörden und die dortige Polizei für die Organisation und Durch­führung der Verhaf­tungen verantwortlich. Jüdinnen und Juden aus Lourdes werden in das Sammellager in Gurs gebracht und von dort über Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert.

Die Maßnahme richtet sich vor allem gegen ausländische und staatenlose Jüdinnen und Juden. Sie machen das Gros der rund 76.000 aus Frankreich deportierten Jüdinnen und Juden aus.

Am 12. Juli soll Marylka in das Internierungs­lager Gurs deportiert werden. Es gelingt Stanislaus mit Unter­stützung des Bischofs ihre Freilassung zu erwirken. Sie kann noch aus dem wartenden Depor­tations­zug gerettet werden.

Wir konnten nur mit knapper Not entkommen, meine Tochter erst aus dem bereits zum Abtransport in ein deutsches Konzentrations­lager bereit­stehenden Zuges. Nachdem uns endlich die Beschaffung falscher Ausweis­papiere gelungen war, flohen wir auf das platte Land und lebten unter schlechtesten Lebens­bedingungen in einem Weiler Namens Cuq.

Stanislaus Bender, 1957

Bekannte und die Kirche helfen Stanislaus und Marylka unter­zutauchen.

Marylka Bender: Skizze eines Bauernhauses, Süd­frankreich, 1940er-Jahre

  • Bild: Marylka Bender, Jüdisches Museum München, JM 09/2024



Cuq



  • Bild: © OpenStreetMap contributors / erstellt mit Datawrapper



Im Mai 1943 kommen die beiden mit falschen Papie­ren nach Cuq, einem Dorf im Département Lot-et-Garonne.

Es war klar, dass wir in keiner Weise aus der Gegend stamm­ten. Aber niemals wurden irgend­welche Fragen gestellt.

Marylka Bender, 2012

Marylka und Stanislaus leben in einem leer­stehen­den Bauernhaus ohne Heiz­möglichkeit. Die Versorgung mit Lebens­mitteln ist schwierig.

1944

25. August: Befreiung von Paris und Rückzug der Deutschen aus Frankreich

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Stanislaus Bender mit Fresco der heiligen Bernadette, Lourdes 1944

Vor der Rückkehr nach Paris machen Marylka und ihr Vater Halt in Lourdes, wo Stanislaus zum Dank für die Unterstützung ein Fresco der heiligen Berna­dette in der Église du Sacré-Cœur malt.

Stanislaus und Marylka erfahren nach Kriegsende, dass fast ihre gesamte Familie in der Schoa ausge­löscht wurde. Marylkas Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins starben im Getto Łódź oder wurden von dort in deutsche Ver­nich­tungslager deportiert.

Stanislaus ist nach den Jahren im Versteck gesund­heitlich stark angeschlagen und kann nur noch eingeschränkt arbeiten.

Paris – München

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka Bender, o.J.



Marylka ist bei Kriegsende 36 Jahre alt. Sieben Jahre hat sie mit ihrem Vater im Exil verbracht, zwei davon im Versteck.

Ihren Jugend­freund Christian Kellerer hat sie in der Zeit nicht ver­ges­sen. Die beiden nehmen wieder Kontakt auf. 1948 erwirbt Marylka die französische Staats­bür­ger­schaft und kommt nach München, um Christian zu heiraten.

In den nächsten Jahren lebt das Paar in Paris, unweit von Stanislaus. Marylka gründet einen Verlag für Glück­wunsch­karten. Christian schreibt philo­sophische Bücher.



Marylka Kellerer-Bender: Patent für dreidimensionale Glückwunsch­karten, 1951



Also das Gefühl, dass man irgend­wo beheimatet ist, das ist mir völlig fremd.

Marylka Bender, 2012

Marylka Bender, 1977

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024



Ende der 1950er-Jahre zieht Stanislaus Bender zurück nach München. 1975 stirbt er in einem Senioren­heim in Pullach.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka und Stanislaus Bender, Pullach 1974

Marylka und Christian reisen viel und verbringen immer mehr Zeit in München. Ab 1980 leben sie wieder dauerhaft in München. Christian Kellerer stirbt 1998.

Marylka und Christian Kellerer, 1983

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024



Bis ins hohe Alter beschäf­tigt sich Marylka mit Kunst und Philo­sophie. Sie ent­wick­elt eine Faszina­tion für Zen-Buddhismus und ver­öffent­licht mehrere Bücher.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka Bender, München 2009



Am 19. Januar 2014 stirbt Marylka Bender im Alter von 104 Jahren in München-Neuhausen.

  • Bild: Zeichnung Marylka Bender, Jüdisches Museum München, JM 09/2024

Zeichnung Marylka Bender, o.J.

Zitate:

Marylka Bender, 2000: unveröffent­lichte Erinnerungen, JM 15/2004

Marylka Bender, 2012: Grill, Harald; Maier, Siegfried: „Ich war schrecklich brav, viel zu brav“. Marylka Bender-Kellerer, ein Leben – ein Jahrhundert, München 2012.

Stanislaus Bender, 1957: Entschädigungsakt, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 5859