Marylka Bender wird am 15. Februar 1909 geboren und verbringt ihre ersten Lebensjahre in Sosnowice, Polen. Von dort stammt ihre Mutter Jadwiga, geb. Freistadt. Jadwiga interessiert sich für Literatur und hat für zwei Semester Philosophie an der Universität Bern studiert.
Vater Stanislaus ist aus Łódź. Dort hat er eine Ausbildung als Lithograf absolviert. Anschließend studiert er Kunst in Paris. Von 1909 bis 1911 besucht er die Akademie der Bildenden Künste in München.
1914 folgen Marylka und ihre Mutter nach München nach. Die kleine Familie bezieht eine Wohnung mit Atelier in der Isabellastraße 25 in Schwabing, die bis 1938 das Zuhause der Familie Bender bleiben wird.
Als Künstler war er mit Motiven aus dem „Schtetl“ und der ostjüdischen Lebenswelt erfolgreich, malte aber auch Bilder, die sein bayerisches Umfeld als Inspiration hatten.
Beim Umzug der Familie nach München ist Marylka fünf Jahre alt und spricht nur einige Worte Deutsch. Sie lernt schnell und wird 1915 eingeschult.
Ab 1917 lebt Haushälterin Marie „Morle“ Lenz bei den Benders. Sie wird eine wichtige Bezugsperson für Marylka, die ihre polnischen Onkel und Tanten nur selten sieht.
Ende 1918 erkranken Marylka, ihre Eltern und Morle an der Spanischen Grippe. Am 2. Januar 1919 stirbt Jadwiga Bender im fünften Monat schwanger. Stanislaus übernimmt Marylkas Erziehung.
Nach sechs Jahren am Gymnasium nimmt ihr Vater sie von der Schule und beginnt mit der Ausbildung in seinem Werbeatelier.
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Stanislaus und Marylka im Werbeatelier, München, Ende der 1920er-Jahre
Ab 1927 besucht Marylka die Zeichenschule Moritz Heymann in der Türkenstraße. 1929 wechselt sie an die Mal- und Zeichenschule „Die Form“ von Hein König, wo sie Klassen für figürliches Zeichnen und Aktzeichnen belegt.
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Marylka Bender, o.J.
1932 reist Marylka mit einer Freundin nach Paris. Sie träumt von einem Studium an der Academie des Beaux Arts.
Im Herbst 1932 kehrt Marylka nach München zu ihrem Vater zurück.
In einem Französischkurs lernt sie ihren späteren Ehemann Christian Kellerer kennen.
1932 stellt Stanislaus Bender zwei Porträts fertig: Tochter Marylka malt er vor einer sommerlichen Landschaft. Sein Selbstporträt zeigt den 50-Jährigen in seinem Münchner Atelier.
30. Januar: Machtübergabe an die Nationalsozialisten
22. September: Gründung der Reichskulturkammer; Ausschluss jüdischer Künstler*innen aus dem deutschen Kunstbetrieb
15. September: Die Nürnberger Gesetze treten in Kraft und verbieten u.a. Eheschließungen sowie sexuelle Beziehungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Personen.
Marylka und ihr Freund Christian treffen sich weiterhin.
Stanislaus Bender reist nach Paris, um Vorbereitungen für eine Emigration zu treffen. Er kehrt aber zunächst nach München zurück.
November: Stanislaus und Marylka verhandeln mit dem Verlagshaus Reproducta in Wien und planen eine Emigration nach Österreich.
12. März: Einmarsch der Deutschen in Wien
Mit dem Anschluss Österreichs fällt Wien als Auswanderungsziel weg und Paris bleibt die einzige Option.
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Passfotografien Marylka und Stanislaus Bender, 1930er-Jahre
Ab Oktober 1938 leben Vater und Tochter im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. Sie versuchen wieder im Bereich der Werbegrafik Fuß zu fassen.
14. Juni: Einmarsch der Deutschen in Paris
Marylka und Stanislaus verlassen Paris fluchtartig. Gemeinsam mit einem befreundeten Paar fliehen sie nach Lourdes im Südwesten Frankreichs.
Nach dem Waffenstillstand mit Deutschland und der Teilung Frankreichs wird der unbesetzte Süden Ziel für Millionen von Flüchtlingen.
Lourdes ist während des Zweiten Weltkriegs aufgrund seiner isolierten Lage in den Pyrenäen und der Nähe zu Spanien Ziel für zehntausende Geflüchtete. Bereits 1939 kommen die ersten Flüchtlinge in der Stadt an. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 steigt ihre Zahl drastisch an.
1941 eröffnet die Stadt zwei Wohnheime, um die Flüchtlinge unterzubringen. Auch die katholische Kirche bietet dringend benötigte Unterstützung. Es gründen sich zudem verschiedene Vereine. Die Geflüchteten aus dem Norden Frankreichs organisieren sich im Comité des Réfugiés du Nord, das auch gelegentliche Kulturprogramme veranstaltet.
Marylka erinnert sich trotz der schwierigen Lebensverhältnisse gerne an ihre Zeit in Lourdes.
In der Zeit der Verfolgung setzt sie sich erstmals mit religiösen Fragen auseinander und lässt sich 1940 katholisch taufen.
Das Vichy-Regime im unbesetzten Teil Frankreichs kollaboriert mit Deutschland und beschließt eine Reihe antisemitischer Gesetze. Jüdinnen und Juden werden aus dem öffentlichen Leben und der Wirtschaft verdrängt. Ab 1942 müssen sie einen gelben Stern zur Kennzeichnung tragen.
Marylka und Stanislaus haben in Lourdes keine Verdienstmöglichkeit und sind auf die Unterstützung Bekannter angewiesen. Sie müssen sich wöchentlich bei der örtlichen Polizei melden.
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Skizzen aus Marylka Benders Skizzenbuch, vermutlich Südfrankreich, 1940er-Jahre
Juli: Massenverhaftungen und Deporationen im besetzten und unbesetzten Teil Frankreichs
Im Sommer 1942 verschärft sich die Judenverfolgung in Frankreich.
Bereits im März 1942 werden die ersten Jüdinnen und Juden aus Frankreich in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Im Sommer folgt eine Welle an Deportationen. Im unbesetzten Süden sind die französischen Behörden und die dortige Polizei für die Organisation und Durchführung der Verhaftungen verantwortlich. Jüdinnen und Juden aus Lourdes werden in das Sammellager in Gurs gebracht und von dort über Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert.
Die Maßnahme richtet sich vor allem gegen ausländische und staatenlose Jüdinnen und Juden. Sie machen das Gros der rund 76.000 aus Frankreich deportierten Jüdinnen und Juden aus.
Am 12. Juli soll Marylka in das Internierungslager Gurs deportiert werden. Es gelingt Stanislaus mit Unterstützung des Bischofs ihre Freilassung zu erwirken. Sie kann noch aus dem wartenden Deportationszug gerettet werden.
Bekannte und die Kirche helfen Stanislaus und Marylka unterzutauchen.
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Marylka Bender: Skizze eines Bauernhauses, Südfrankreich, 1940er-Jahre
Im Mai 1943 kommen die beiden mit falschen Papieren nach Cuq, einem Dorf im Département Lot-et-Garonne.
Marylka und Stanislaus leben in einem leerstehenden Bauernhaus ohne Heizmöglichkeit. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist schwierig.
25. August: Befreiung von Paris und Rückzug der Deutschen aus Frankreich
Vor der Rückkehr nach Paris machen Marylka und ihr Vater Halt in Lourdes, wo Stanislaus zum Dank für die Unterstützung ein Fresco der heiligen Bernadette in der Église du Sacré-Cœur malt.
Stanislaus und Marylka erfahren nach Kriegsende, dass fast ihre gesamte Familie in der Schoa ausgelöscht wurde. Marylkas Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins starben im Getto Łódź oder wurden von dort in deutsche Vernichtungslager deportiert.
Stanislaus ist nach den Jahren im Versteck gesundheitlich stark angeschlagen und kann nur noch eingeschränkt arbeiten.
Marylka ist bei Kriegsende 36 Jahre alt. Sieben Jahre hat sie mit ihrem Vater im Exil verbracht, zwei davon im Versteck.
Ihren Jugendfreund Christian Kellerer hat sie in der Zeit nicht vergessen. Die beiden nehmen wieder Kontakt auf. 1948 erwirbt Marylka die französische Staatsbürgerschaft und kommt nach München, um Christian zu heiraten.
In den nächsten Jahren lebt das Paar in Paris, unweit von Stanislaus. Marylka gründet einen Verlag für Glückwunschkarten. Christian schreibt philosophische Bücher.
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Marylka Bender, 1977
Ende der 1950er-Jahre zieht Stanislaus Bender zurück nach München. 1975 stirbt er in einem Seniorenheim in Pullach.
Marylka und Christian reisen viel und verbringen immer mehr Zeit in München. Ab 1980 leben sie wieder dauerhaft in München. Christian Kellerer stirbt 1998.
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Marylka und Christian Kellerer, 1983
Bis ins hohe Alter beschäftigt sich Marylka mit Kunst und Philosophie. Sie entwickelt eine Faszination für Zen-Buddhismus und veröffentlicht mehrere Bücher.
Am 19. Januar 2014 stirbt Marylka Bender im Alter von 104 Jahren in München-Neuhausen.
Zitate:
Marylka Bender, 2000: unveröffentlichte Erinnerungen, JM 15/2004
Marylka Bender, 2012: Grill, Harald; Maier, Siegfried: „Ich war schrecklich brav, viel zu brav“. Marylka Bender-Kellerer, ein Leben – ein Jahrhundert, München 2012.
Stanislaus Bender, 1957: Entschädigungsakt, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 5859