Diese Website verwendet Funktionen, die Ihr Browser nicht unterstützt. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf eine aktuelle Version.

Stanislaus Bender

  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel

Stanislaus Bender wird am 23. Februar 1882 in Łódź geboren, wo seine Eltern ein Gasthaus be­trei­ben. Er ist das jüngste von sechs Kindern. Wie bereits sein drei Jahre älterer Bruder wird Stanis­laus nicht mehr in den Cheder, die tradi­tio­nelle jüdisch-religiöse Grund­schule, sondern in eine allge­meine, russisch-polnische Schule geschickt.

Mein Vater, Stanislaus Bender, wurde am 21. Februar 1882 in Lodz, damals Russisch-Polen, geboren, als sechstes Kind des Kaufmannes Jakob Bender und seiner Frau Dwojra, geb. Kutner.

Marylka Bender, 2000

Hier weiterlesen

Als jüngstes der sechs Kinder – 3 Söhne und drei Töchter – war er das Hätschel­kind der Familie. Sein Vater war ein unter­nehmender Kaufmann, der in Lodz ein Hotel für die Landbevölkerung betrieb und sich auch nicht scheute, in Kaftan und Käppi geschäftlich nach Amerika zu reisen, was damals mehr bedeu­tete als heute. Die Mutter wurde auf Grund eines Ohren­leidens frühzeitig völlig gehörlos und stand daher innerhalb der Familie sehr im Hinter­grund. Mein Vater wurde im Grunde von seiner ältesten Schwester auf­gezogen.

Die Familie, vor allem die Mutter, war religiös, die Riten wurden gewissen­haft, wenn auch ohne Über­treibung eingehalten. Doch wurden die beiden jüng­sten Söhne, also mein Vater und ein 3 Jahre älterer Bruder bereits nicht mehr in den Cheder, sondern auf die allgemei­ne, russisch-polnische Realschule geschickt.

Bald jedoch entwickelte sich deutlich das Interesse meines Vaters an allem, was mit Zeichnen und Malen zu tun hatte. Er be­wun­derte jeden Schilder­maler, saß vor den Türen der Malschulen herum, um bei Gelegenheit einen Blick hinein tun zu dürfen und malte auch selbst kleine Bildchen, die deutlich von Begabung zeugten.

  • Bild: Erinnerungen Marylka Bender, 2000 (unveröffentlicht), JM 15/2004



Bender absolviert eine Lehre als Lithograf in Często­chowa und arbeitet zwischen 1899 und 1905 in Łódź und Sosnowice. Im Anschluss geht er nach München, wo er ein Jahr lang bei den Kunst­anstal­ten Josef Müller arbeitet.

  • Bild: Visitenkarte der Kunstanstalten Josef Müller mit Heiligenbild (Rückseite), München, 1910er-Jahre, CC0 @ Volkskunde- und Freilichtmuseum Roscheider Hof

1906 geht er nach Paris und studiert an der renom­mierten Académie Julian. Seinen Lebens­unterhalt verdient er als Zeichner und Lithograf.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09/2024

Postkarte aus Paris, 1906

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Stanislaus, Jadwiga und Marylka Bender, 1910

1908 heiratet er Jadwiga Freistadt aus Sosnowice. Jadwiga kommt wie er aus einer deutsch­sprachig­en jüdisch-polnischen Familie. Sie interessiert sich für zeit­genössische Literatur und Philo­sophie und hat 1906/07 für zwei Semester an der Uni­versität Bern studiert.

Am 15. Februar 1909 kommt Tochter Marylka zur Welt.

Stanislaus Bender beim Zeichnen in der Natur, o.J.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

München

Von 1909 bis 1911 studiert Bender „einem Jugend­traum entsprechend“ an der Akademie der Bilden­den Künste in München. Er besucht die Malklasse von Prof. Ludwig Herterich und studiert Radierung bei Prof. Peter Halm.



  • Bild: Jüdisches Museum München, Foto: Franz Kimmel

Legitimationskarte für das Winter-Semester 1910/11

  • Bild: Jüdisches Museum München, Foto: Franz Kimmel

Zeugnis für die Naturzeichenklasse bei Prof. Peter Halm, 1910

  • Bild: Jüdisches Museum München, Foto: Franz Kimmel

Zeugnis für die Malklasse bei Ludwig Herterich, 1911

Familie Bender in der Isabellastraße 25, vor 1919

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024



1914 kann sich Bender end­gültig mit seiner Familie in München nieder­lassen. Die kleine Familie bezieht eine Wohnung mit Atelier in der Isabella­straße 25 in München-Schwabing.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09/2024

Visitenkarte Stanislaus Bender – Kunstmaler, o.J.



Am 2. Januar 1919 stirbt Jadwiga Bender, die im fünften Monat schwanger ist, an der Spanischen Grippe. Bender über­nimmt die Erziehung von Tochter Marylka.

Nach sechs Jahren am Gymnasium nimmt er Marylka zur Ausbil­dung in sein Werbe­atelier.

Dass ich male, das war für meinen Vater selbst­verständ­lich. Es gibt nichts Besseres und Schöneres als Malen, das war seine Ansicht… Nun, ich war dazu begabt, das stimmt schon, aber ich wurde da halt einge­fädelt, in diese Reklameabteilung.

Marylka Bender, 2012

Stanislaus und Marylka im Werbeatelier, München, Ende der 1920er-Jahre

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Genrebilder

1919 veröffentlicht Bender eine Sammel­mappe mit 12 colorierten Drucken im J. Kauff­mann Verlag in Frank­furt a.M. Die Mappe mit Motiven aus dem „Schtetl“ ist schnell ver­griffen. Es folgen Neu­auflagen mit deutschem und englisch­em Vorwort.

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Sammelmappe, 1919

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Synagogengang“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Disput“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Heilige Arbeit“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Flucht“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Kabbala“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Konfirmation“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Mondgebet“

  • Bild: © Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

„Schwere Zeit“

Wenn Bender das Ghetto malt, Synagogen­szenen, oder Szenen der Armut aus polnischen Juden­vierteln, oder auch Bilder aus der intimeren religiösen Häuslichkeit, liegt immer ein Akzent von Schwermut über dem Ganzen; er sieht nichts von dem Geschilderten in bunter Farbigkeit, das meiste in einem grauen Halb­dunkel, in der Farbe des Leides und der Sorge.

Fritz von Ostini, 1919

In der Dauerausstel­lung des Jüdischen Museums München ist das Gemälde „Ghetto­mädchen“ zu sehen.

  • Vorher-Bild: © Jüdisches Museum München, Leihgabe aus Privatbesitz, Foto: Wilfried Petzi
  • Nachher-Bild: Jüdisches Museum München, JM 125/2004, Foto: Franz Kimmel

l.: „Ghettomädchen“, Studie, vor 1919; r.: „Der Eltern Stütze“, Sammelmappe, 1919

Warum zeigt das Museum dieses Werk Benders?

Die Detailstudie „Ghetto­mädchen“ von Stanis­laus Bender scheint ein ideales Ausstellungs­stück für das Jüdische Museum München zu sein. Das Öl­gemälde zeigt ein jüdisch­es Motiv, der in Lodz geborene Künstler ist jüdisch, und der Großteil der Bildfolge zum jüdisch­en traditio­nellen Leben wurde in seinem Atelier in München-Schwabing gemalt.

Diese rasch skizzierten Auswahlkriterien setzen als selbstverständlich voraus, was einer näheren Befragung bedarf. Gehören nur Stanis­laus Benders Werke mit jüdischer The­ma­tik in das Museum? Oder auch beispiels­weise sein Ölgemälde Odeons­platz, das keine spezifisch jüdische Thematik hat? Oder sollte der gesamte Nachlass Benders im Jüdisch­en Museum aufbewahrt werden, da der Künstler jüdisch war? Schließlich stellt sich auch noch die Frage, inwieweit eine Ausstellung aus­schließ­lich jüdischer Motive Stereotypen befördert.

Jüdische Genremalerei beschreibt nur einen Teil von Stanislaus Benders Tätigkeit. In seinem Nach­lass verweisen Bilder von bayerisch­en Land­schaften auf den Münchner Maler, hochwertige Werbe­grafiken, wie beispiels­weise für die Bayerische Zugspitz­bahn, lassen den Reklame­künstler hervor­treten. Konzept, Idee und Ziel des Jüdischen Museums München ist es, die Vielfalt jüdischen Lebens in München zu zeigen. Der Blick auf die Biografien Münchner Juden ist deshalb immer auch der Versuch, einen Blick auf ihre kom­plex­en Identitäten zu werfen – bei Bender: auf den Künstler, den Sohn polnischer Juden, den Münchner, den Emigranten, den Rück­kehrer … –, auf das, was in der modernen Soziologie unter dem Begriff Patchwork-Identität zusammengefasst wird.

Ich zeige in dieser Vitrine dennoch das „Ghetto­mädchen“, da es eine wichtige Facette der Identität Benders berührt – seine Herkunft, die er mit vielen Münchner Juden Anfang des 20. Jahrhun­derts teilte. Bender bringt seine Erinnerungen nach München mit und macht sie zum Thema seiner bedeutendsten Schaffens­periode. Sein Name ist deshalb – wie bei nur wenigen jüdischen Künst­lern, darunter Moritz Oppenheim – auch mit der Darstellung von Szenen jüdischen Lebens ver­knüpft. Das ausgestellte Gemälde gibt Antworten. Und es stellt Fragen, wie die nach der Existenz einer jüdischen Kunst.

Kuratorin Jutta Fleckenstein, 2007

  • Bild: Präsentation „Ghettomädchen“ in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums München, Foto: Eva Jünger

Meine beiden Eltern haben das konzentrierte ostjüdische Milieu als unglücklich und als ein Relikt einer vergangenen, überlebten Zeit verstanden. Dennoch waren sie getränkt mit dessen schwüler Wärme.

Marylka Bender, 2000

Stanislaus Bender im Werbeatelier, o.J.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Werbegrafik

Als Werbegrafiker macht sich Bender deutsch­land­weit einen Namen. Er ent­wirft Plakate, Inserate und Produkt­verpackun­gen vom Schokoladen­papier bis zur Anzeige für Kühl­schränke oder Traktoren.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 31.01/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Werbegrafik für die Predigtstuhlbahn, o.J.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Bender vor einem gewerblichen Wandgemälde, o.J.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 47.01/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Werbegrafik für die Feurich-Keksfabrik München, o.J.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 82/2004, Foto: Franz Kimmel

Pavillon des Verlags W. Vobach & Co auf der „Pressa“ nach den Entwürfen Stanislaus Benders, Köln 1928

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 77/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Werbegrafik für den deutschen Rundfunk, o.J.

Die Betätigung als Grafiker hat es Bender er­mög­licht, im Reklame­wesen, auf dem Gebiete des Plakats, des Inserats und den damit ver­wandten Bezirken erfolgreich Fuß zu fassen. Die Schlagkraft seiner auf klare Wirkung aus­gehen­den Blätter ist immer beachtlich, die Erfindungsgabe zeigt bei der Verschieden­wertigkeit der Aufgaben die große Vielseitigkeit des Künstlers.

Theodor Harburger, 1932



Um 1920 bemüht sich Bender vergeblich um die deutsche Staats­angehörig­keit. Er und Marylka haben polnische Pässe und gehören damit zu den schätzungs­weise 3.000 „Ostjuden“ in München. Damit droht ihnen 1923 die Ausweisung.

Mehr zum Thema

Obwohl die Gruppe der „Ost­juden“ nicht einmal 0,5% der Münchner Gesamtbevöl­kerung ausmacht, gerät sie Anfang der 1920er-Jahre in den Fokus der Politik. Nach der Nieder­schlagung der Räte­republik ist das Klima aufge­heizt und insbesondere aus dem Osten eingewanderte Jüdinnen und Juden werden als „Bolsche­vist*innen“ diffamiert. Im Herbst 1923 werden Razzien durch­geführt und 70 „ost­jüdische“ Familien erhalten einen Ausweisungs­befehl. Wie viele Personen München darauf­hin tatsächlich verlassen, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.

Die beiden können bleiben, nachdem sich Firmen aus Benders Kundenkreis für die beiden einsetzen.

Porträts

1932 feiert Bender seinen 50. Geburtstag.

Er stellt zwei Porträts fertig, die sich heute in der Sammlung des Jüdischen Museums München befinden.

  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel

Selbstporträt, 1932; Hintergrund: Stanislaus Bender im Atelier, 1932

Bildbeschreibung

Das Selbstporträt zeigt Stanislaus Bender vor einem geöffneten Fenster in seinem Münchner Atelier. Er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und Fliege. Seine Körperhaltung scheint entspannt; er lehnt sich gegen die Fensterbank, die linke Hand in die Tasche gesteckt. Sein Gesichts­ausdruck ist neutral und sein Blick direkt auf die Betrachtenden gerichtet. In der rechten Hand hält er einen Pinsel, der über den unteren Bildrand hinaus­ragt.

Im Hintergrund, durch das geöffnete Fenster, ver­schwim­men die mit freien, expressiven Pinselstrichen angedeuteten Dächer und der Himmel miteinander. Die Farbgebung ist von Pastelltönen dominiert mit satteren Licht­reflexen an den Hauswänden und Schorn­steinen, was dem Bild eine winterliche oder frühmorgendliche Stimmung verleiht.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024
  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Porträt Marylka Bender, 1932

Bildbeschreibung

Das Porträt von Marylka Bender zeichnet sich durch seine leuchtenden, hellen Farben aus. Die junge Frau sitzt etwas erhöht vor einer sommer­lichen Land­schaft. Sie trägt ein ärmel­loses weißes Kleid und einen leuchtend roten Schal, der über ihren rechten Arm drapiert ist. Ihr Haar ist modisch kurz geschnitten. Ihr Blick ist direkt auf die Betrach­tenden gerichtet und ihr Gesichts­ausdruck wirkt ernst und aufmerk­sam. Sie sitzt aufrecht und hat die Hände vor sich auf den Knien übereinander­gelegt.

Den größten Teil des Hinter­grundes nimmt der Himmel ein, der mit Hell­blau- und Weißtönen und sichtbaren expres­siven Pinselstrichen ausgeführt wurde. Am unteren Bild­rand ist ein gold­gelbes Kornfeld an­gedeutet. Nur am oberen Bildrand sind einige Feder­wolken zu erkennen. Licht­reflexe auf Marylkas Haar, Schulter und Händen und scharf konturierte Schatten vermitteln den Eindruck von direkter Sonne.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Aus derselben Zeit ist das Porträt einer Person erhalten, die wir heute nicht mehr zuordnen können.

  • Bild: Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: © Jüdisches Museum München, Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Porträt einer unbekannten Person, vor 1932

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

1933

30. Januar: Machtübergabe an die Nationalsozialisten

22. September: Gründung der Reichskulturkammer; Ausschluss jüdischer Künst­ler*innen aus dem deut­schen Kunstbetrieb

Tagtäglich verfinsterte sich der Himmel mehr. Jahrelang bestehende geschäftliche wie pri­vate Beziehungen wurden abgebrochen, die Aufträge meines Vaters schrumpften merklich, das Verhalten und die Sprache der ‚Braunen‘ wurde immer provokanter und beleidigender.

Marylka Bender, 2012

1935

15. September: Die Nürn­berger Gesetze treten in Kraft

1936

Bender reist nach Paris, um Vorbereitungen für eine Emi­gration zu treffen. Er kehrt aber zunächst nach München zurück.

1937

November: Stanislaus und Marylka verhandeln mit dem Verlagshaus Repro­ducta in Wien und planen eine Emi­gra­tion nach Öster­reich.

1938

12. März: Einmarsch der Deutschen in Wien

Mit dem Anschluss Öster­reichs fällt Wien als Aus­wan­derungsziel weg und Paris bleibt die einzige Option.

Passfotografien Marylka und Stanislaus Bender, 1930er-Jahre

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024



Paris



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 32.01/2004, Foto: Franz Kimmel

Stanislaus Bender: Werbegrafik für die französische Automarke Delahaye, Paris, 1930er-Jahre



Ab Oktober 1938 leben Vater und Tochter im Pariser Vor­ort Neuilly-sur-Seine. Sie versuchen wieder im Bereich der Werbegrafik Fuß zu fassen.

1940

25. Juni: Einmarsch der Deutschen in Paris

Stanislaus und Marylka verlassen Paris flucht­artig. Gemeinsam mit einem befreundeten Paar fliehen sie nach Lourdes im Süd­westen Frank­reichs.

Alles, was Räder hatte, war unter­wegs: Last­wagen, Leichen­wagen, Schub­karren, Fahr­räder und natürlich Autos, Autos, Autos, hollän­dische, belgische, nord­französische, alle voll­gepackt mit Koffern, Säcken, Hausrat bis zum Vogel­käfig auf dem Dach.

Marylka Bender, 2012

Lourdes



Nach dem Waffen­still­stand mit Deutschland und der Teilung Frank­reichs wird der un­besetzte Süden Ziel für Millionen von Flücht­lingen.

Mehr zur Situation in Lourdes

Lourdes ist während des Zweiten Weltkriegs aufgrund seiner isolierten Lage in den Pyrenäen und der Nähe zu Spanien Ziel für zehntausende Geflüchtete. Bereits 1939 kommen die ersten Flüchtlinge in der Stadt an. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 steigt ihre Zahl drastisch an.

1941 eröffnet die Stadt zwei Wohnheime, um die Flüchtlinge unterzubringen. Auch die katholische Kirche bietet dringend benötigte Unterstütz­ung. Es gründen sich zudem verschiedene Vereine. Die Geflüchteten aus dem Norden Frankreichs organisieren sich im Comité des Réfugiés du Nord, das auch gelegentliche Kultur­programme veranstaltet.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09/2024

Galaprogramm des Comité des Réfugiés du Nord, Lourdes nach 1940, Illustration: Stanislaus Bender

Das Vichy-Regime im un­besetzten Teil Frankreichs kollaboriert mit Deutsch­land und beschließt eine Reihe antisemitischer Gesetze. Jüdinnen und Juden werden aus dem öffent­lichen Leben und der Wirtschaft ver­drängt. Ab 1942 müssen sie einen gelben Stern zur Kenn­zeichnung tragen.

Stanislaus und Marylka haben in Lourdes keine Verdienst­möglichkeit und sind auf die Unter­stützung Bekann­ter angewiesen. Sie müssen sich wöchent­lich bei der örtlichen Polizei melden.

1942

Juli: Massenverhaftungen und Deporationen im besetz­ten und unbesetz­ten Teil Frankreichs

Mehr dazu

Im Sommer 1942 verschärft sich die Juden­verfolgung in Frank­reich.

Bereits im März 1942 werden die ersten Jüdinnen und Juden aus Frankreich in das Vernichtungs­lager Auschwitz deportiert. Im Sommer folgt eine Welle an Deportationen. Im unbesetzten Süden sind die französischen Behörden und die dortige Polizei für die Organisation und Durch­führung der Verhaf­tungen verantwortlich. Jüdinnen und Juden aus Lourdes werden in das Sammellager in Gurs gebracht und von dort über Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert.

Die Maßnahme richtet sich vor allem gegen ausländische und staatenlose Jüdinnen und Juden. Sie machen das Gros der rund 76.000 aus Frankreich deportierten Jüdinnen und Juden aus.

Am 12. Juli soll Marylka in das Internierungs­lager Gurs deportiert werden. Es gelingt Stanislaus mit Unter­stützung des Bischofs ihre Freilassung zu erwirken. Sie kann noch aus dem Deporta­tions­zug gerettet werden.

Wir konnten nur mit knapper Not ent­kommen, meine Tochter erst aus dem bereits zum Abtransport in ein deutsches Konzentrations­lager bereit­stehenden Zuges. Nachdem uns endlich die Beschaffung falscher Ausweis­papiere gelungen war, flohen wir auf das platte Land und lebten unter schlechtesten Lebens­bedingungen in einem Weiler Namens Cuq.

Stanislaus Bender, 1957

Bekannte und die Kirche helfen Stanislaus und Marylka unter­zutauchen.

Ausweis für „Henri Bernier“ alias Stanislaus Bender, ausgestellt durch die Préfecture de Lot-et-Garonne, Dezember 1942

  • Bild: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 5859/0003



Cuq



  • Bild: © OpenStreetMap contributors / erstellt mit Datawrapper

Im Mai 1943 kommen die beiden mit falschen Papie­ren nach Cuq, einem Dorf im Département Lot-et-Garonne.

Es war klar, dass wir in keiner Weise aus der Gegend stam­mten. Aber niemals wurden irgendwelche Fragen gestellt.

Marylka Bender, 2012

Sie leben in einem leer­stehen­den Bauernhaus ohne Heizmöglichkeit. Die Versor­gung mit Lebens­mitteln ist schwierig.

1944

25. August: Befreiung von Paris und Rückzug der Deutschen aus Frankreich

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Stanislaus Bender mit Fresco der heiligen Bernadette, Lourdes 1944

Vor der Rückkehr nach Paris macht Bender Halt in Lour­des, wo er zum Dank für die Unter­stüt­zung ein Fresco der heiligen Bernadette in der Église du Sacré-Cœur malt.

Nous connaissions, enfants, le mur peint de la chapelle, car nos mères respectives nous encourageaient à le regarder, signalant qu'il était l'œuvre d'un peintre juif polonais réfugié à Lourdes avec sa fille pendant la guerre.

Les Amis du Vieux Lourdes, 2011

DE

Als Kinder kannten wir die bemalte Wand in der Kapelle, weil unsere Mütter uns er­mutig­ten, sie anzuschauen. Sie erzähl­ten uns, dass es sich um das Werk eines polnisch-jüdischen Malers handelte, der während des Krieges mit seiner Tochter in Lourdes Zuflucht suchte.

— Freundeskreis Altes Lourdes, 2011

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 21/2024

Artikel zu Benders 90. Geburtstag in einer pol­nischen Zeitung mit Abbil­dung des Frescos der heiligen Bernadette, 1972

Bender erfährt, dass fast seine gesamte Familie in der Schoa ausgelöscht wurde: Geschwister, Nichten und Neffen starben im Getto Łódź oder wurden von dort in deutsche Vernichtungs­lager deportiert.

Paris – München

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Marylka und Stanislaus Bender, o.J.

Bei Kriegsende ist Bender 63 Jahre alt. Gesund­heit­lich stark angeschlagen kehrt er nach Paris zurück.

Tochter Marylka heiratet 1948 ihren Münchner Jugend­freund Christian Kellerer. Die beiden ziehen ebenfalls nach Paris.

Ab den 1950er-Jahren bemüht sich Bender um finanzielle Ent­schä­digung für die Zeit der Verfol­gung. Die Antrag­stellung gestal­tet sich lang­wierig. Er muss den deutschen Behör­den zahl­reiche Nach­weise erbringen.

Rabbiner Dr. Leo Baerwald in New York, der bis 1940 Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in München war, bestätigt:

Herr Bender war nach Abstammung und Glaubensbekenntnis Jude. Er war durch seine Herkunft mit dem Juden­tum eng verbunden und war seit Jahr­zehnten als Maler jüdischer Typen aus dem Osten Europas bestens bekannt.

Dr. Leo Baerwald, 1954

  • Bild: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 5859/0023



Aufgrund physischer und psychischer Traumata kann Bender nur noch einge­schränkt als Werbe­grafiker arbeiten und ist daher auf die niedrigen Ent­schä­di­gungs­zahlungen und eine geringe Rente aus Deutsch­land angewiesen.

Es erscheint offenkundig, daß die besonderen Umstände, unter denen Herr Bender gelebt hat: sein Exil im Jahre 1937 – die Verhaftung seiner Tochter im Jahre 1942 – die Vernichtung seiner ganzen Familie in Polen durch die Nazis – weitgehend und schädlich auf die Entwick­lung seiner Krankheit ein­gewirkt haben.

Ärztliches Gutachten, 1954



Ende der 1950er-Jahre zieht Stanislaus Bender zurück nach München. Am 21. Januar 1975 stirbt er in einem Senioren­heim in Pullach.



  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Stanislaus Bender, um 1970



Stanislaus Bender und sein viel­seitiges Schaffen als Künstler und Werbe­grafiker sind in München vergessen bis Marylka Bender Anfang der 2000er-Jahre als eine der ersten Unter­stützer*innen des Jüdischen Museum Münchens ihre Geschichte und die ihres Vaters mit dem Jüdischen Museum München teilt.

  • Bild: Jüdisches Museum München, JM 09.01/2024

Fotoabzüge in Benders Atelier, o.J.



Die meisten von Benders Arbeiten sind heute ver­schollen. Wieder­entdeckte Reproduk­tionen und Foto­grafien können helfen, Werke wieder­zufinden und zuzuordnen.

Zitate:

Marylka Bender, 2000: unveröffent­lichte Erinnerungen, JM 15/2004.

Marylka Bender, 2012: Grill, Harald; Maier, Siegfried: „Ich war schrecklich brav, viel zu brav“. Marylka Bender-Kellerer, ein Leben – ein Jahr­hundert, München 2012.

Fritz von Ostini, 1919: Bildermappe Stanislaus Bender, Frankfurt a.M., 1919.

Jutta Fleckenstein, 2007: Fleckenstein, Jutta: „Ghetto­mädchen oder Zugspitzbahn – Was zeigt ein jüdisches Museum?“, in: Fleckenstein, Jutta; Purin, Bernhard: Jüdisches Museum München, München/Berlin/London/New York 2007, S. 64.

Theodor Harburger, 1932: Das jüdische Echo Jg. 19 (26.2.1932) H. 9.

Les Amis du Vieux Lourdes, 2011: Les Amis du Vieux Lourdes, Nr. 176, Oktober 2011.

Stanislaus Bender, 1957; Dr. Leo Baerwald, 1954; Ärztliches Gutachten, 1954 : Entschädigungs­akt, Bayerisches Hauptstaats­archiv, LEA 5859.